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Wesenswidrigerweise wurde die ständische Ordnung vielfach so

ausgelegt, als versuche sie den Aufbau der Gesellschaft oder jenen

des Staates auf den Berufständen, also auf den Untergliederungen

der Wirtschaft; als versuche sie das politische Parlament, also eine

staatliche Einrichtung, durch eine Versammlung der wirtschaftlichen

Berufstände zu ersetzen. Das hieße aus hölzernen Balken eine eiserne

Brücke bauen.

Wie wir gezeigt haben, kann das Parlament oder eine andere

staatlich-politische Institution nicht einmal durch eine Spitzen-

körperschaft der gesellschaftlichen, also der Gesamtstände ersetzt

werden. Auch eine Versammlung der Vertreter aller gesellschaft-

lichen Stände oder ihrer Spitzenkörperschaften wäre noch keine

staatlich-politische Instanz, da der Staat etwas Arteigenes, nicht

aber die Summe der gesellschaftlichen Gesamtstände ist. Der Staat

und daher auch seine obersten Organe sind etwas anderes als die

Gesamtheit aller gesellschaftlichen Institutionen, auch mehr als die

Versammlung ihrer Spitzenkörperschaften. Die staatlichen Institu-

tionen, am allerwenigsten die höchsten, sind weder durch ein wirt-

schaftliches Ständehaus noch durch ein gesamtgesellschaftliches

Ständehaus, also durch eine Versammlung der Spitzenvertreter aller

gesellschaftlichen Stände zu ersetzen. Wenigstens nicht nach den

Ergebnissen der ganzheitlichen Analyse des Wesens und des Aufbaues

der Gesellschaft und auch nicht nach der ganzheitlichen Lehre

vom Wesen und Aufbau des Staates. Wie wir noch sehen werden,

leitet sich weder die Herrschergewalt des Staates von den Ständen

ab, am wenigsten von den Wirtschaftsständen; ebensowenig wie sich

die Herrschergewalt der Stände vom Staate ableitet, sondern in sich

selbst gegründet ist. Daher jede Überwältigung der Stände durch den

Staat (totalitärer Staat) ebenso eine krisenhafte Erscheinung darstellt

wie die Überwältigung des Staates durch die Stände oder durch einen

Stand — sei es durch die Kirche, worum es ja im Mittelalter ging; oder

durch die Wirtschaft, worum es heute geht.