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heißt geistige Inhalte von gesellschaftlicher und politischer Bedeutung!
Eine Umkehrung dieses Verhältnisses der Wirtschaft zur
Gesellschaft gibt die materialistische Geschichtsauffassung Marxens,
deren Ansicht man in die Worte kleiden könnte: Alle Gesellschaft
meint Wirtschaft, alles, was in der Gesellschaft und in der Geschichte
vorgeht, hat die Wirtschaft zur Ursache — ein Irrtum, der vielleicht
„genial“, aber zugleich auch barbarisch ist. Immerhin zeigt er das
methodologische Verhältnis von Wirtschaft und Gesellschaft in seiner
Weise an.
Die Wirtschaft als das dienende Mittel für alle Ziele, die in der
Gesellschaft auftreten, gleicht dem Blute des Organismus, das
ausnahmslos alle Glieder durchdringt und ernährt und in gewissem
Sinne die Werkstätte ihres Lebens und Gedeihens ist.
Dies ist das Verhältnis der Wirtschaft als eines Teilganzen zu dem
übergeordneten größeren Ganzen der Gesellschaft
1
.
Nun der eine übergeordnete Gedankenkreis, der die Gesellschaft und
damit auch die Wirtschaftsauffassung beherrscht, der
Individualismus.
Genauer zu erklären, was Individualismus ist, kann hier nicht unsere
Aufgabe sein, das muß in der Gesellschaftslehre geschehen. Was aber
das Hauptproblem in der Gesellschaftslehre ist, ist hier nur eine
Vorfrage für uns, wir müssen uns daher gleichsam mit dem Stichworte
begnügen. Da ist nun zuerst der Individualismus eine der beiden
Denkformen, eine der beiden logischen Auffassungsweisen jedes
Kollektivganzen. Schon früher ergab er sich als jene Denkform, in der
das Individuum das Primäre, das Ganze aber das aus Individuen
Zusammengesetzte, das Sekundäre ist.
Das G a n z e ist dabei: eine Abstraktion, weil es außerhalb der
Individuen nicht existiert, es ist nur die Summe, die Vielheit der
Einzelnen, ein Pseudoganzes, ein bloßer Haufen, ein Aggregat statt
eines Organischen. Das Ganze „Staat“ z. B. ist dann etwa ein / Vertrag
der einzelnen Individuen; seine „Gesetze“ sind die Mittel der
1
Der Untersuchung dieser Frage ist zum guten Teile mein Buch: Fundament der
Volkswirtschaftslehre, Jena 1918, gewidmet. Vgl. besonders S. 19—82.