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Beste verwirklicht. (Sollte es aber überhaupt ein „allgemeines“ Bestes

bei folgestrengem Individualismus geben?)

Das war der Riesenbau, den das französisch-englische Denken mit

Genauigkeit und Strenge, mit Winkelmaß und Zirkel in zwei, drei

Menschenaltern leuchtend und verführerisch aufgerichtet hatte. Und

doch war es ein Scheinbau, ein Truggebilde. So fest Stein in Stein gefügt

sein mochte, die Unterlage, nämlich die naturrechtlich-

individualistische Auffassung von Wirtschaft und Gesellschaft, war, wie

wir später zeigen werden, schwankend und schwach.

Sowohl die wirtschaftliche Entwicklung, welche (neben allem

Fortschritt) Elend anhäufte anstatt reinsten Gedeihens, wie auch die

wissenschaftliche Entwicklung, welche notwendig aus dem toten

Geleise des individualistischen Rationalismus, Empirismus und des

Naturrechtes hinausdrängte, wurden lautredende, lebendige Zeugen

gegen die individualistische Volkswirtschaftslehre.

Hiermit kommen wir zur zweiten Gestalt, welche das

volkswirtschaftliche Denken angenommen hat; es ist dies

die romantisch-universalistische Volkswirtschaftslehre.

Damit sind wir beim schwierigsten und entscheidenden Teil unserer

Betrachtung angelangt.

Die Überwindung des Individualismus geschah nicht auf dem

Gebiete der Volkswirtschaftslehre selbst. Sie mußte da geschehen, wo

der übergeordnete Gedankenkreis liegt, ja noch weiter zurück, dort, wo

über den übergeordneten Gedankenkreis entschieden wird: in der

Staats- und Gesellschaftsphilosophie.

Die Kunde davon, was „Gesellschaft“ in ihrem wahrhaften Wesen ist,

war über lauter Naturrecht, Rationalismus und Empirismus der

abendländischen Staatswissenschaft seit der Renaissance allmählich

verlorengegangen! Da war es nun, wo der deutsche Geist seine größte

Sendung in der Weltgeschichte vollzog. Die individualistische

Entwicklung in Staat und Wirtschaft / konnte er nicht aufhalten; aber

er hat von der geistigen Seite her eine Bewegung eingeleitet, die

vielleicht in der kommenden Epoche als eine Epoche organisierter

Wirtschaft zur Reife gelangen wird

1

. Als Kant in seinem Kritizis-

1

Mit der bloßen Organisierung der Wirtschaft (sei es in Form von „Sozialisierung“,

sei es in anderen, mannigfaltigeren und loseren Formen) ist es allerdings noch nicht

getan; wir müssen auch von unserer individualistisch durchseuchten Staats-,

Gesellschafts- und Geschichts a u f f a s s u n g loskommen — und dies ist der

schwerere Teil der Aufgabe, w e i l e r d e r r e i n g e i s t i g e

T e i l i s t .