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den sich Müller wandte. Der Staat war ihm nicht der Verein absoluter
Individuen, nicht die Sicherheitsanstalt des Naturrechtes; sondern die
„Totalität der menschlichen Angelegenheiten, ihre Verbindung zu
einem lebendigen Ganzen“. Dann wandte er sich gegen alle die
Folgerungen,
die
zur
Begründung
der
Smithschen
Volkswirtschaftslehre aus „Naturrecht“ und „Eigennutz“ dienten.
Müllers Fehde gegen Smith ist zugleich eine K r i t i k d e s
K a p i t a l i s m u s ; in dieser Kritik legt er den Hauptwert nicht / auf
die Elendserscheinungen (die waren damals noch weniger offenbar),
sondern auf die Entordnung (Desorganisation) der Wirtschaft. Er
bezeichnet den Kapitalismus als „Zersetzung, Auflösung und Dis-
membration“ alles Gemeinsamen und aller wahren Staatlichkeit
1
.
„Sklaverei, ja Wechselsklaverei ... ist überall da, wo das ganze
öffentliche Verhältnis der Menschen ein bloß sächliches . . . auf Ertrag,
auf Geld gerichtetes Verhältnis ist
2
. Daher stellt Müller der
A r b e i t s t e i l u n g die notwendige Beziehung auf das Gemeinwesen
gegenüber
3
. — Ebenso in der Lehre von der V e r t e i l u n g . Ihm
kommt für den Nationalreichtum das harmonische Verhältnis der
einzelnen Privatreichtümer weit mehr in Betracht als die Privat-
reichtümer an und für sich.
4
Dem rein mechanischen R e i c h t u m s b e g r i f f von Smith
(welchem das Volksvermögen bloß die rechnerische Summe aller
Sachgüter war) setzte Adam Müller einen lebendigen, auf den Nutzen
und auf die Produktivkraft gehenden Reichtum entgegen. Die größeren
Kräfte sind nicht dort, wo mehr äußeres Vermögen ist, sondern dort,
wo die stärkeren Kräfte sind, die es halten, und die bedeutenderen
Gefühle, die es schätzen.
5
— So setzte er auch dem
1
Adam Müller: Die Elemente der Staatskunst, Berlin 1309, Teil 2, S. 121.
2
Adam Müller: Von der Nothwendigkeit einer theologischen Grundlage der
gesammten Staatswißenschaften und der Staatswirthschaft insbesondere, 1S19, (Wieder
abgedruckt: Gesammelte Schriften, 1. (einziger) Bd. München 1839, S. 54.)
3
Adam Müller: Die Elemente der Staatskunst, Berlin 1809, Teil 2, S. 141 f.: „Die
Theilung der Arbeit . . . wirkt auf eine ungeheure Vermehrung der Production . . . Aber,
wie auch der Staats-Rechenmeister von diesen Zahlen [erhöhter Ergiebigkeit] entzückt
seyn möge — wo bleibt . . . die Beziehung auf das Gemeinwesen . . .?“
4
Adam Müller: Die Elemente der Staatskunst, Berlin 1809, Teil 3, S. 123 f.
5
Adam Müllers Aufsatz über Adam Smith, 1808, wieder abgedruckt: Gesammelte
Schriften, 1. (einziger) Bd, München 1839, S. 111 ff.