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leben wünschen, ohne die liebevolle Teilnahme anderer. Ja, man darf

sagen, daß gerade für diejenigen, die Reichtum, Herrschaft und Macht

besitzen, das Bedürfnis solcher liebevoller Beziehungen zu andern sich am

dringlichsten erweist. Denn was hätten sie von ihrem ganzen

Glückszustande, wenn sie nicht vermittels desselben die Möglichkeit

hätten, andern Freude zu bereiten? Oder wie ließe sich das Glück

bewahren und aufrechterhalten ohne die wohlwollende Gesinnung

anderer?“

1

Wir haben

2

den Bereich des bloß Nützlichen (Utilitarischen)

gegenüber dem Geistigen als H i l f e l e i s t u n g bestimmt. Hilfeleistung

ist dabei stets eine mechanische Handreichung. Durch gegenseitige

Hilfeleistung nun — durch:

Arbeitsteilung (Wirtschaft),

Schutz und Ordnung (Staat und Armee),

Interessenvertretung (Politik),

Unterricht (nach der technischen Seite hin) und

Erziehung (nach der Seite von Wartung und Pflege hin)

wird bewirkt:

(1)

die allseitige Erhöhung der Annehmlichkeiten des Lebens und aller

Mittel;

(2)

aber auch sogar die Möglichkeit zu leben überhaupt, so indem der

Mensch von der Mutter gesäugt und dann noch lange, rein tiermäßig

gedacht, genährt und aufgezogen werden muß.

Später lehrt man ihn die Sprache, man lehrt ihn gehen, die wichtigsten

Handgriffe tun und bringt ihm verstandesmäßige Kenntnisse bei.

Erziehung in diesem rein helfenden Sinne ist also wohl die Bedingung /

jedes menschlichen Lebens, aber sie ist nichts anderes als eine

ununterbrochene Kette von Hilfeleistungen.

Diese Tatsache der Ermöglichung des Lebens durch Hilfeleistung führt

leicht irre und bewirkt oberflächlichsten Schein-Universalismus, indem

man sagt: „Da der Einzelne der Gesellschaft nicht nur Erhöhung der

Annehmlichkeiten verdankt, auf die er schließlich verzichten konnte,

sondern auch die Möglichkeit überhaupt zu leben, so ist er der

Gesellschaft derart verpflichtet, daß diese alles, was sie braucht, von ihm

fordern darf.“ Es mag dies eine praktisch

1

Aristoteles: Nikomachische Ethik, ins Deutsche übertragen von Adolf Lasson, Jena

1909, VIII. Buch, 1155a, S. 168.

2

Siehe oben S. 119 f