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Nach diesen Darlegungen ergibt sich auch von selbst der Einzelne als

bloße Anlage (Potenz). Der Blinde kann in keiner Gezweiung zum Maler,

der Taube nicht zum Flötenspieler gebildet werden. Wo keine Anlage, dort

auch keine Erweckbarkeit durch Gezweiung. — Umgekehrt gilt: alles, als

was der Einzelne sich t a t s ä c h l i c h findet, ist er durch Aktualisierung

seiner Anlage in Gezweiung. Die Ganzheit als auferweckende ist auch die

einzig Wirklichkeit verleihende. Den Menschen mag ein Schrecken

erfassen, wenn er sich nach dieser Lehre plötzlich viel weniger selbstisch,

viel weniger „wirklich“ sieht, als ihm / bewußt war. Aber wer sich seine

Gefreundeten und Gemeinschaften plötzlich dahinschwinden denkt, der

fühlt dann wohl, wie er seine Wirklichkeit nur aus dem Gliedsein in jenen

Gezweiungen schöpfte

1

.

Doch entsteht die Frage, ob durch den Begriff des Einzelnen als

„Potenz“ nicht ein Stück Individualismus in unseren Lehrbegriff gebracht

wird. Beethoven und Mozart mögen wie immer musikalisch erzogen und

aktualisiert worden sein, sie waren in gewisser Art immer sie selbst

geblieben. Seine Einzigartigkeit bleibt dem Einzelnen schon als

unzerstörbare Anlage. Der Einzelne darf sagen: so zu sein, das hat mir der

Herrgott verliehen! — Dies ist dennoch kein Individualismus: weil der

Einzelne als Potenz der Gesellschaft entrückt ist! „Potenz“ war schon vor

der Gesellschaft (die durch Aktualisierung der Potenz ist). Die

Wirklichkeit zwar ist ganz und gar gesellschaftlicher Art, ist nur gezweite

Wirklichkeit: a b e r e i n e v o r g e s e 1 1 s c h a f t 1 i c

h e T a t s a c h e i s t d i e A n l a g e d e s E i n z e l n e n . (Ähnlich

die Rasse als Grundlage der Anlage.) Man kann diese vorgesellschaftliche

Tatsache auch eine metaphysische nennen, aber man tut dies dann nicht

mehr auf gesellschaftswissenschaftlichem, sondern auf einem andern

Boden. Und dort mag man dann auch mit Leibniz sagen dürfen: „Wir sind

nicht für uns selbst geboren, sondern die Anderen machen Anspruch auf

einen Teil von uns, und Gott beansprucht uns ganz.“

Ganz anders hält sich, wie früher wiederholt darzulegen war, der Individualist jenes

Verhältnis vor Augen. Ihm ist auch die geistige Verbindung etwas Außerlich-Helfendes,

Utilitarisches, zum Beispiel bloße Kenntnisübermittlung äußerer Art, so daß jedes

Individuum aus sich selbst heraus (bloß ä u ß e r e r Hand-

1

Siehe oben das Beispiel von Tristan, S. 133.