Table of Contents Table of Contents
Previous Page  1567 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 1567 / 9133 Next Page
Page Background

[135/136]

169

4. Der G e z w e i t e a l s G e g n e r

Das Verhältnis Vorbild — Nachbild beruht auf einer weitgehenden

Übereinstimmung von Führer und / Geführten, da der eine als Aktus und

Form, der andere als Möglichkeit und Materie auftreten muß

1

. Zum

Beispiel muß dem musikalischen Vorbild ein musikalisches Nachbild

entsprechen. Es muß daher mindestens insoweit Gleichartigkeit der

Gezweiten vorhanden sein, daß sie beide auf der musikalischen Ebene

stehen. Dabei ist ein gewisser Unterschied insofern vorhanden, als der das

Vorbild Schaffende eine ungleich höhere, ursprünglichere Aktivität

besitzen muß als der bloß zum Nachbild Gelangende. Übereinstimmung

und Unterschiedenheit dabei sind daher die Vorbedingungen jeder

Gezweiung.

Hierauf

beruht

die

Möglichkeit

einer

f r u c h t b a r e n

G e g n e r s c h a f t , das ist des Kampfes als eines möglichen Elementes

der Gezweiung. Die fruchtbare Gegnerschaft hat vor allem die Form der

„Kritik“. Man muß aber das Wort Kritik recht verstehen. Es enthält zwei

Stücke: Scheidung und Bekräftigung. Der rechte Kritiker scheidet das

Wahre vom Unwahren und bekräftigt somit das Wahre, wie er das

Unwahre entkräftet.

Solche Gezweiung beruht nicht unmittelbar auf Liebe: sie ist fruchtbare

Gegnerschaft. Diese Gegnerschaft geht auf die Befestigung des wahren und

die Tilgung des unwahren geistigen Gehaltes in den menschlichen

Gezweiungen und ist darum fruchtbar. „Fruchtbar“ ist, was den objektiven

Geist zum Dasein bringt. Der Gegner weckt im Befehdeten die Kräfte der

Verteidigung, Befestigung, auch Selbstkritik und Wiederherstellung;

gerade wie das Ausschneiden eines Geschwürs den Körper gesund macht,

wie ein die sittliche Luft reinigender Krieg Volk und Staat kräftigt. Auch

ist es gleichsam ein heimlicher D r i t t e r , vor dem der Kampf

ausgetragen wird. Der „Richter“ ist die zur Kampf-Gezweiung zugehörige

Gestalt, und er zeigt an, daß diese Gezweiung verlangt, in einer höheren

befaßt und aufgehoben zu werden.

Erst jene Gegnerschaft, welche über die fruchtbare Verteidigung der

Wahrheit hinausgeht, wirkt zerstörend, abbauend auf die Wirklichkeit der

Gemeinschaft. Jene Kritik, die auch Wahres zerstörte,

1

Weiteres über Gleichartigkeit und Entgegengesetztheit in der Gezweiung siehe unten S.

276 ff. und 283 ff.