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[445/446]

Unsere Begriffsbestimmung der Kirche nimmt jedes Gebilde der geschicht-

lichen Erfahrung in sich auf. Da die Kirche Veranstaltung der Religion ist, so

kommt es insbesondere auf den Inhalt der betreffenden geschichtlichen Religion

an, die sich in ihr organisiert. Wenn daher Gustav Gundlach sagt: „Die Kirche /

ist jene religiöse Gemeinschaft [wir würden sagen: Organisation der Gemein-

schaft], die auf der Gesellschaft bildenden Auswirkung des lebendigen Chri-

stus beruht“

1

, so wird diese Begriffserklärung durchaus von dem Rahmen der

unserigen aufgenommen, da der Inhalt der christlichen Religion, die Lehre und

lebendige Auswirkung Christi, das corpus Christi mysticum, bildet.

Aber an eines ist die vielfach unbewußt liberalisierende, individualistische

Theologie von heute dabei zu erinnern: daß die m e n s c h l i c h e G e s e l l -

s c h a f t v o n e i n e m s o l c h e n G e f ü g e s e i n m u ß , w e l c h e s s i e

z u r A u f n a h m e d e r „ G e s e l l s c h a f t b i l d e n d e n A u s w i r k u n -

g e n d e s l e b e n d i g e n C h r i s t u s “ f ä h i g m a c h t , nämlich von ganz-

heitlichem Gefüge, nicht von atomistischem Gefüge.

Das gesellschaftliche Leben, Wesen und Bau der geistigen Gemeinschaft muß

grundsätzlich von solcher Art sein, daß in ihr ein corpus Christi mysticum sich

auswirken, entstehen kann. Das heißt aber: Daß die Gesellschaft universali-

stisch gebaut sein muß, daß das W e s e n d e r g e i s t i g e n G e m e i n -

s c h a f t e i n z i g u n d a l l e i n u n i v e r s a l i s t i s c h b e g r i f f e n w e r -

d e n k a n n . In der religiösen Gemeinschaft des corpus Christi mysticum ist

der Einzelne nicht autark, selbstbestimmt und durch Zusammensetzung von sich

aus die Kirche (die Religionsgemeinschaft) bildend; sondern er ist nur in glied-

hafter geistiger Bestimmtheit Teil jenes corpus. Nur die G e z w e i t h e i t

seines Geistes befähigt ihn zur Teilnahme daran! Was a b e r d e r R e l i -

g i o n s g e m e i n s c h a f t r e c h t , i s t d e n a n d e r e n G e m e i n s c h a f -

t e n d e r G e s e l l s c h a f t b i l l i g . Die religiöse Gemeinschaft kann nicht

von anderer innerer Bauart und Wesensart sein als die übrigen Gemeinschaften

der Gesellschaft. Soll die Religionsgemeinschaft als die führende auftreten,

dann müssen ihr auch die geführten Gemeinschaften wesensgleich sein.

Jene Theologen daher, die vom Strome der Zeit mitgerissen, die grundsätz-

liche Sonderstellung der kirchlichen Organisation und damit individualistische

Auffassungen vertreten, fordern wir auf, den erhabenen Begriff des corpus Christi

mysticum zu Ende zu denken, das Gefüge und die Wesensart der Gemeinschaft,

die sich daraus ergibt, und die führende Stellung der religiösen Gemeinschaft zu

bestimmen, ehe sie dem universalistischen Lehrbegriffe entgegentreten.

Über den Satz „Kirchen sind Schalen, die den Kern verholzen“ und über das

Christentum als „Abgeschiedenheitslehre“ vergleiche oben

2

.

6.

Die V e r a n s t a l t u n g e n i n W i s s e n s c h a f t

u n d K u n s t

Nicht einheitlich veranstaltet sind die Gezweiungen in Wissen-

schaft und Kunst.

1

Gustav Gundlach: Zur Soziologie der katholischen Ideenwelt und des Jesui-

tenordens, Freiburg i. B. 1927, S. 49.

2

Siehe S. 239 ff. und 416 f.