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Bei der Betrachtung dieser Wissenschaft muß man, wie oben schon dargetan,
zweierlei Behandlung der rechtlichen wie sittlichen Gebote oder Normen trennen:
Die Zweck erzeugende (Normen erzeugende) oder spekulative Normenwissen-
schaft und die Zwecke richtende und Zweck erklärende, beziehungsweise Normen
richtende und Normen erklärende. Die spekulative Sittenlehre und die spekulative
Rechtslehre sind beide als normenschöpfende Denkinhalte keine gesellschaftswis-
senschaftlichen Fächer, sondern gehören der Spekulation an, das ist der Meta-
physik und Theologie, dem metaphysisch-religiösen Denken, das dem Menschen
zu oberst alle Wege weist.
Sind nun die (spekulativ gesetzten und begründeten) Normen als System ge-
geben, so treten zweierlei Betrachtungen ein:
(1)
Die Betrachtung von Recht und Sitte als Teilganze der Gesellschaft. Dies
ist die allgemeine soziologische Wesensbestimmung von Recht und Sitte, sie gehört
der allgemeinen Gesellschaftslehre an, nicht einer besonderen Gesellschaftswissen-
schaft;
(2)
die systematische Rechts- und Sittenbetrachtung.
In der letzteren, der Sittenlehre und Rechtslehre selbst, kann es sich nur um
die systematische Betrachtung der jeweils gegebenen sittlichen und rechtlichen
Normen handeln, die in einer zweckrichtenden und zweckerklärenden logischen
Systematisierung besteht. In der dogmatischen Jurisprudenz ist die Wissenschaft
zu voller Ausbildung gelangt, in der Sittenlehre wird der schöpferische mit dem
verarbeitenden (systematischen) Teile noch oft miteinander vermengt.
In der systematischen Rechtslehre sahen wir schon oben
1
Verfahren am
Werke, wie sie denen der Volkswirtschaftslehre und Gesellschaftslehre eng ver-
wandt sind. Wir beschränken uns auf den Vergleich mit der Volkswirtschafts-
lehre. Zunächst ist es der Begriff der R a n g o r d n u n g , der die Gegenstände
beider Fächer kennzeichnet. Die Rangordnung der Leistungen bezeichnet das
Wesen der Wirtschaft, die Rangordnung der Rechtssätze (Normen) das Wesen
des Rechtes. „ Z u r e c h n u n g “ sodann ist ein in beiden Fächern wiederkeh-
mbolismus:
364,
370
hnik:
317
f.
auch
unter
fest, daß die Grundlage für die Zurechnung in rechtswissenschaft- / licher wie
wirtschaftswissenschaftlicher Form dieselbe ist, nämlich: daß der betreffende
„Tatbestand“ oder der betreffende „Inhalt“ (beide Begriffe wirtschaftlich wie
rechtlich zu verstehen) an eine Rangordnung von Normen (eine wirtschaftliche
Rangordnung von Leistungen, eine rechtliche von Rechtssätzen) gehalten wird. —
Auch der Begriff der „ R e c h t s w i d r i g k e i t “ h a t s e i n e E n t s p r e -
c h u n g i m B e g r i f f e d e r „ U n w i r t s c h a f t l i c h k e i t “ (ein von der
herrschenden individualistisch-kausalen Wirtschaftslehre freilich ganz vernach-
lässigter Begriff)
2
. Die „Nichtübereinstimmung mit der „Norm“ begründet im
wirtschaftlichen wie im rechtlichen Falle dieselben Folgen. Die Erscheinungen
S t r a f e u n d U n t e r g a n g , die als Rechtsfolge der Rechtswidrigkeit auf-
treten, erscheinen sinngemäß im Falle der Unwirtschaftlichkeit wieder: V e r -
a r m u n g ,
Z u s a m m e n b r u c h
d e s
w i r t s c h a f t l i c h e n
B a u e s
(Normensystem), z. B. einer Fabrik, welche die Zahlungen einstellen muß.
Auch der Begriff der „ L e i s t u n g “ ist jenem der Rangordnung eng ver-
1
Siehe S. 653.
2
Vgl. mein Buch: Fundament der Volkswirtschaftslehre, 4. Aufl., Jena 1929,
S. 161 ff.