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Einleitung

Nach der gewaltigen Stoffsammlung der letzten Jahrzehnte ist das

Interesse an der theoretischen Forschung in unserer Wissenschaft wieder

erwacht. Aber kein neu entstehendes theoretisches Interesse kann an den

alten Stand des Wissens einfach anknüpfen. Wenn eine Entwicklung

abgebrochen wurde, steht die Gegenwart nicht durchaus auf den Schultern

der Vergangenheit; die neuen Bestrebungen müssen sich ihr Niveau, vor

allem ihre tieferen logischen und philosophischen Grundlagen, erst wieder

von Anfang an s e l b s t ä n d i g erobern. Denn die Methodik der

Erforschung des Tatsächlichen reicht nicht aus zur Besinnung auf die

G r u n d l a g e n , zumal diese, sowohl von der logischen wie von der

ethischen Seite her, sich im wesentlichen stets gleich bleiben und daher

vom Stande des empirischen Wissens in hohem Grade unabhängig sind.

Das wird vielleicht Widerspruch finden, aber es handelt sich um eine

allgemeine Erscheinung im Geistesleben. Besonders sehen wir es an der

Philosophie selbst, von der alle Einzelwissenschaften in ihren Grundlagen

und Methoden mehr oder weniger abhängig sind. Nachdem der erhabene

Bau der deutschen Klassik verfallen war und durch viele Jahrzehnte

hindurch die gröbste materialistische und empiristische Denkweise

1

geherrscht hatte, sehen wir, wie diese alte Philosophie heute mit dem Sieg

der neukantischen Schule (welche kritisch die aus der Erfahrung nicht zu

erklärenden, überempirischen Elemente, z. B. Wahrheit, im Wissen und

Handeln [Logischen

1

Der Materialismus will die Sonderstellung des Geistigen und Ethischen vomMateriellen

überhaupt leugnen, der Empirismus alle Wissenschaft auf die Erfahrung s c h l e c h t h i n

verweisen; damit wird er aber der Frage: wie Erfahrung als festes Wissen ( W a h r h e i t )

m ö g l i c h sei? nicht gerecht; er drängt daher auch die Einzelwissenschaften nicht zur

Betrachtung ihrer logischen Struktur, ihrer letzten Grundlagen und Eigenart, sondern

vielmehr zur vollständigen Genügsamkeit mit der Empirie schlechthin. In letzterem Belang

heißt die empiristische Denkweise „Positivismus“, weil sie nur auf die positiven Tatsachen

geht, in Hinsicht auf ihren Wahrheitsbegriff heißt sie „Relativismus“, weil die

Erfahrungserkenntnisse je nach dem Stande der Erfahrung wechseln, nur relativ sind, und

damit überhaupt ein fester Begriff von Wahrheit fehlt.