VIII.
In eigener Sache
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Meine Behauptung, daß man als Individualist oder (was theore-
tisch fast auf dasselbe hinauskommt) als „Solidarist“ den beruf-
ständischen Gedanken nicht ernsthaft aufnehmen könne, hat ein
wahres Kesseltreiben in der katholischen Presse gewisser Prägung
gegen mich heraufbeschworen. P. G u s t a v G u n d l a c h , S. J.,
hat sie auf seiner Essener Tagung (Mai 1932) als „ V e r b r e c h e n “
bezeichnet! Ich sehe mich daher gezwungen, hiezu das Wort zu
ergreifen. Auf die politische Seite der Frage, welche für die Gegner
allein maßgebend zu sein scheint, werde ich mich allerdings nicht
einlassen. Mir ist allein maßgebend, welchen wissenschaftlichen Wert
der „Solidarismus“ beanspruchen darf und wie weit seine Vertreter
der genannten Art wissenschaftlich ernst zu nehmen sind.
Was ist eigentlich „Solidarismus“? Vor nunmehr fast 30 Jah-
ren suchte der Jesuitenpater Heinrich P e s c h , persönlich ein
gutmeinender und lauterer Mann, in einem umfangreichen Lehr-
buch der Nationalökonomie
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ein zwischen Individualismus und
Staatssozialismus liegendes (nämlich nach Rodbertus und Adolf
Wagner gebautes) volkswirtschaftliches „System“ zu begründen,
das er als „solidaristisch“ bezeichnete. Daß sein Ausgangspunkt ein
grundsätzlich i n d i v i d u a l i s t i s c h e r ist, das verrät dem
Kundigen schon der Name. Denn der Name wie der Gedanke
des „Solidarismus“ kommt zunächst aus dem v o r m a r x i s t i -
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Zuerst erschienen in: Ständisches Leben, Jg 2, Berlin, Wien 1932, S. 330 ff.
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P. Heinrich Pesch S. J.: Lehrbuch der Nationalökonomie, 5 Bde, Freiburg i.
Br.