[78/79]
111
In Wahrheit geht Pesch grundsätzlich vom i n d i v i d u a l i -
s t i s c h e n S y s t e m g e d a n k e n a u s ; denn er stellt, genau
wie die individualistischen Lehrgebäude alle, die P r e i s l e h r e i n
d e n M i t t e l p u n k t seiner Volkswirtschaftslehre und leitet fer-
ner daraus, wieder ganz wie jene, die sogenannte Verteilungslehre
ab. „In der Verkehrswirtschaft regelt der Preis die Güterverteilung“
heißt es Band 5, Seite 32. Ja, Pesch vertritt wörtlich dasselbe Preis-
gesetz (!) wie Ricardo 100 Jahre vor ihm, nämlich das Kosten-
und Rentengesetz bei „beliebig vermehrbaren“ und „nicht belie-
big vermehrbaren“ Gütern
1
— und ein solches System soll man
heute ernst nehmen?
Der unbekümmerte Eklektizismus Peschens und seine vermit-
telnde Art mag in jener liberalen Zeit, als er sein Lehrgebäude er-
dachte, Ende der 90er Jahre, vielleicht eine gewisse praktische Mög-
lichkeit gehabt haben, obwohl er auch damals mit den besten Über-
lieferungen des religiösen Lebens und mit dem organischen Wesen
des Christentums in grellem Widerspruch stand. Was s o l l m a n
a b e r d a z u s a g e n , w e n n s i c h h e u t e n o c h M ä n n e r
f i n d e n , d i e e i n s o l c h e s e k l e k t i s c h e s S y s t e m
n i c h t n u r w i s s e n s c h a f t l i c h v e r t e i d i g e n , s o n -
d e r n a u c h p r a k t i s c h v e r t r e t e n w o l l e n ?
Es gibt keine Erklärung für ein solches Unternehmen, als daß
sich diese Männer weder über die theoretische noch über die prak-
tische Seite des Systems klar sind. Denn hätten sie wissenschaftlich
wie wirtschaftspolitisch das Widerspruchsvolle und Halbe, das schü-
lerhaft Zusammengeraffte und Unstimmige des sogenannten Soli-
darismus durchschaut, dann hätten sie sich unmöglich bemühen
können, ihn heute wieder zu „beleben“ und gar noch zum politi-
schen Kampf für die christliche Idee (in Wahrheit für ihre „banale
Linksrichtung“) zu verwenden. Daß solche Männer wissenschaft-
lich nicht mitreden können, nicht ernst zu nehmen sind, ist leider
nicht zuviel gesagt. Denn wer nicht beurteilen / kann, welche An-
forderungen an den Systemzusammenhang des nationalökonomi-
schen Denkens gestellt werden müssen, scheidet aus der ernsten
1
Das wird bestätigt durch den neuerdings
erfolgten Versuch von P. Oswald
von Nell-Breuning S. J., den Solidarismus
l
h i li h S
k