[
8
4
]
119
(gleich einem Steinhaufen): die Wesentlichkeit und eigene Würde
dieser Summe, dieses Zusammensein der Einzelnen wird geleugnet.
Denn eine „Ganzheit“, eine „Gesellschaft“ als ein Eigenes, Selbstän-
diges gibt es dort nicht, wo sich alles a u s d e m E i n z e l n e n her-
leitet. „Summe“, „Haufen“ besteht nur aus den Bestandteilen.
Diese Bestandteile sind die in sich beruhenden, sich grundsätzlich
selbst genügenden oder autarken Einzelnen — der T e i l i s t
v o r d e m G a n z e n .
Aus dieser S e l b s t g e n ü g s a m k e i t o d e r A u t a r k i e
des Einzelnen folgt als der konstitutive Grundsatz der Gesellschaft
theoretisch wie politisch die F r e i h e i t . Die Freiheit des Einzelnen
ist das Baugesetz der Gesellschaft und ist das Lebensgesetz des Ein-
zelnen nach individualistischer Auffassung. Denn wenn der Einzelne
auf sich beruht und der Zusammenhang der Einzelnen in der „Ge-
sellschaft“ wesenlos ist, kann nur die Freiheit seine Entwicklung
fördern, Einschränkung der Freiheit muß sie hemmen. Das geistige
Insichberuhen der Einzelnen (geistige Autarkie oder Autonomie)
schließt ihre Freiheit als Forderung in sich. — Der individualistische
Gedanke erscheint in drei Hauptformen durchgeführt: im A n a r -
c h i s m u s , welcher zum Beispiel in dem Stirnerischen Grundsatze:
„Mir geht nichts über mich“ folgerichtig die feste Ordnung des
Zusammenlebens und daher den Staat verneint; i m M a c h i a v e l -
1 i s m u s (Machtlehre) und in der V e r t r a g s t h e o r i e (Natur-
rechtslehre). Dem Machiavellismus erscheinen Gesellschaft und Staat
als Herrschaftsverhältnisse der Menschen schlechthin, er erklärt sie
als Sieg des Stärkeren über den Schwächeren. Es ist nur folgerichtig,
daß dieses rein individualistisch gedachte Verhältnis auch mit un-
moralischen Mitteln aufrechterhalten werden darf. „Jeder, der es
darauf anlegt“, heißt es im „Fürsten“ von Machiavelli „in allen Din-
gen moralisch gut zu handeln, muß unter einem Haufen, der sich
daran nicht kehrt, zugrunde gehen; daher muß ein Fürst, der sich
behaupten will, sich auch darauf verstehen, nach Gelegenheit schlecht
zu handeln.“
1
Die praktisch wichtigste individualistische Gesellschaftslehre ist
die V e r t r a g s t h e o r i e o d e r d a s N a t u r r e c h t . In ihrer
1
Niccolo Machiavelli: Der Fürst (1532), 15.
Kapitel (Reclams Universalbiblio-
h k Bd 1218 19)