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Der Universalismus ist aber nicht die gerade Umkehrung des

Individualismus — der größte Fehler, der heute in der Regel bei

Beurteilung des Gegenstandes gemacht wird. Wenn der Individualis-

mus jene Ansicht von Gesellschaft und Staat ist, welche den Ein-

zelnen über das Ganze stellt, so ist der Universalismus nicht um-

gekehrt jene Theorie, die schlechthin das Ganze über den Einzel-

nen stellte und damit den Einzelnen für nichtig erklärte! Nur

manche schlechte, äußerste Formen des Universalismus gehen so

weit, grundsätzlich aber behält der Einzelne auch für das universa-

listische Denken seinen unverlierbaren inneren Wert und auch

seine sittliche Selbstbestimmung.

Was ist nun unter diesen Umständen der Universalismus? /

Eine so einfache Auseinanderlegung der Grundgedanken und

Abarten wie beim Individualismus ist für die universalistischen

Theorien nicht möglich, deren Probleme weit schwieriger und ver-

schlungener sind. In dieser kurzen Darlegung muß ich mich daher

mit Folgendem begnügen: Das Wesen des Universalismus ist da-

hin zu erklären, daß er in der geistigen G e g e n s e i t i g k e i t

der Individuen untereinander das eigentlich schöpferische, bele-

bende Prinzip erblickt. Das Wesen der Erscheinung Gesellschaft

liegt demnach nicht in der bloßen Summierung der Einzelnen

(wie beim Individualismus), und somit überhaupt nicht eigentlich

im Einzelnen als solchem, sondern es liegt in jener eigenartigen

Daseinsweise des menschlichen Geistes, die im g e g e n s e i t i g e n

A n e i n a n d e r - W e r d e n gegeben ist. Daß diese geistige Ver-

bundenheit, daß jedes Verhältnis von Mensch zu Mensch überhaupt

ein schöpferisches, ein moralisch-wesentliches sei, und somit der

Einzelne, für sich betrachtet, überhaupt nicht existiere, daher auch

als geistige Existenz nicht autark, die Gesellschaft als solche nicht

mehr ein bloßes Aggregat individueller Punkte, sondern vielmehr

die ihnen Leben gebende G a n z h e i t sei — das ist der grund-

legende Gedanke des Universalismus.

Der Individualismus geht von dem Begriffe des absoluten Ein-

zelnen aus, das heißt des Menschen als einer geistigen Potenz, die

in sich beruht, die wesentlich auf sich selbst gestellt ist (geistige

Autarkie) und die eine gesellschaftliche Verbindung, z. B. im Ur-