XV.
Gründung und Entfaltung als Kategorien
der Geschichte
Ein Beitrag zur geschichtlichen Kategorienlehre
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Zwei Schlüsselbegriffe sind es, die heute fast ausschließlich zur Er-
klärung des Ganges der Geschichte verwendet werden: Der Begriff
des Fortschrittes und der Begriff des Lebensablaufes, wie er sich
beim körperlichen Organismus in den wachstümlichen Stufen von
Jugend, Reife und Alter zeigt. Beide sind zwar verwandt, stehen
aber doch auch in Widerspruch zueinander. Wie steht es mit der
Anwendbarkeit beider Begriffe?
A. Der Fortschritt
In den letzten Jahrhunderten wurde der Fortschritt ausschließ-
lich als die Urweise oder Grundgestalt des Geschichtsverlaufes ange-
sehen. Die Geschichts-, Gesellschaffs- und Naturauffassung der ge-
samten Aufklärung (die ja im Grunde noch bis heute herrscht), war
von dem Fortschrittsgedanken durchaus bestimmt. Die Kant-Lapla-
cische Hypothese ebenso wie die Lehre von der Urzeugung, ebenso
wie der Lamarckismus, ebenso wie der Darwinismus laufen auf steten
„Fortschritt“ hinaus. Denn nach der ersteren entwickelt sich aus dem
Urnebel schließlich der Mensch, nach dem letzteren wurde das orga-
nische Leben zu immer höheren Formen fortgetrieben, sei es durch
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Zuerst erschienen in: Ständisches Leben, Jg 1, Berlin, Wien 1931, S. 302ff.