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ratio bezeichnet in Bedeutung von Begriff (nicht in der Bedeutung
von Vernunft und Wort) die Idee als das Wesen, die Substanz, so-
fern es als das formale Prinzip der Materie gegenübertritt. — In der
scholastischen Philosophie heißen die Ideen Universalien, Allge-
meinbegriffe, die in gewissem Sinne aber auch gleichbedeutend mit
„Prädikabilien“ (Kategorien) sind.
Einige N e b e n b e d e u t u n g e n v o n „Idee“, die sich in der französischen
und englischen Philosophie der Aufklärung ausbildeten und leider auch zum Teil
in den deutschen Sprachgebrauch übergingen, sind völlig unplatonisch, nämlich die
Bedeutung von „Idee“ als bloße „V o r s t e l l u n g“, als menschlichen „G e -
d a n k e n s“, oder als eines bloß s u b j e k t i v e n „ I d e a l s “ statt urbildlicher
Grundgestalt, von übersubjektiver Gültigkeit und Art. All diese Nebenbedeu-
tungen sind abzulehnen und im philosophischen Sprachgebrauche streng zu mei-
den. Das „Ideal“ entsteht, platonisch gesehen, erst dadurch, daß ein Ding seine
Idee nicht erreicht. Der „Gedanke“ braucht weder ein „Ideal“ noch eine „Idee“
zu sein.
D e u t s c h e B e z e i c h n u n g e n für die Ideen: Urgestalten, schaffende
Urmächte, schaffende Urbilder, Urgesichte, vorbildende Schöpfergedanken. Als
solche sind sie die sich eingebenden und dadurch den Menschen schaffenden Ge-
sichte. Meister Eckehart nennt die Ideen in seinen deutschen Predigten „vor-
gehende Bilder“
1
.
A.
Die h e r k ö m m l i c h e A u f f a s s u n g
d e r p l a t o n i s c h e n I d e e n
Das Wesen der Platonischen Ideen soll nach Eduard Zeller
2
und
vielen anderen, die ihm folgten, worunter von den / Neueren zum
Beispiel Praechter in seinem grundgelehrten Werke „Philosophie
des Altertums“ hervorzuheben
3
ist, darin bestehen, daß sie „ob-
jektivierte“, „hypostasierte“, das will sagen, fälschlich zu selbständi-
gen Wesenheiten erhobene B e g r i f f e seien. „Die Ideen sind
nichts anderes als die sokratischen Begriffe... zu metaphysischen
Prinzipien erhoben .. .“
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Indem, so erwägt Zeller, die Erkenntnis
1
Vgl. Meister Eckhart, herausgegeben von Franz Pfeiffer, Leipzig 1857,
S. 326, Zeile 11 ff. und öfter.
2
Eduard Zeller: Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Ent-
wicklung, Teil 2, Abt. 1, 5. Aufl.., Leipzig 1922, S. 643 ff. und öfter.
3
Carl Praechter: Die Philosophie des Altertums, Bd 1, 12. Auf., Berlin
1926, S. 329 und öfter.
4
Eduard Zeller: Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Ent-
wicklung, Teil 2, Abt. 1, 5. Aufl., Leipzig 1922, S. 657.