Table of Contents Table of Contents
Previous Page  4707 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 4707 / 9133 Next Page
Page Background

[439/440]

395

der gemeinsamen Merkmale vieler einzelner Dinge dazu führt, All-

gemeinbegriffe zu bilden, zum Beispiel die gemeinsamen Merkmale

vieler verschiedener Pferde, den Allgemeinbegriff „Pferd“ zu bil-

den, soll dies Platon zu der Meinung verführt haben, die Gat-

tungsbegriffe für selbständige, übersinnlich existierende Wesen-

heiten oder „Ideen“ zu halten. Danach wären die Gattungsbegriffe

vorerst durch Induktion aus der Erfahrung gewonnen und hinter-

drein verselbständigt, „hypostasiert“ worden. Weiter wären da-

durch die einzelnen wandelbaren sinnlichen Dinge auf die objekti-

ven, unwandelbaren Ideen oder Begriffe gegründet und die Erkennt-

nis des Sinnlichen erst ermöglicht worden. Der Begriff würde da-

nach, wie Praechter es ausdrückt, „aus einem bloßen Erzeugnis

eines Gedankenprozesses zu einer realen Wesenheit, der die unter

ihn fallenden Einzelobjekte ihre Wesensbestimmung verdanken“

1

.

Diese Auffassung Zellers und seiner Nachfolger muß mit Fleiß

abgelehnt werden, da sie die Idee in einem fahlen Lichte erscheinen

läßt und den Zugang zu ihrem wahren Verständnisse versperrt.

Würde die „Idee“ bloß auf primitiver Vergegenständlichung des-

sen beruhen, was nur subjektiven Gedankengebilden entstammt, des

Begriffes im Sinne eines subjektiven Erkenntnisvorganges, so stünde

es / schlecht um die „Idee“. Die Annahme von Ideen wäre danach

auch insofern unbegründet, als die bloße Richtigkeit oder Gültig-

keit der Begriffe ja gewiß nicht ausreichend wäre, um auf ihr selb-

ständiges Sein zu schließen. — Zuletzt liegt in dieser Erklärung der

Ideen als „hypostasierter“ Denkgebilde nichts anderes als die still-

schweigende Behauptung, daß es in Wahrheit nur einzelne Dinge

gäbe und sonst nichts über ihnen — das gerade Gegenteil der Pla-

tonischen Lehre, der sogenannte N o m i n a l i s m u s , jene Lehre,

welche die Ideen leugnet und das Allgemeine, das die Begriffe ent-

halten, nur in unseren Köpfen, nur als „Name“ existieren läßt.

Wie sehr man auch zugeben muß, daß die Erkenntnistheorie und

der Wahrheitsbegriff überall dort auf die Ideen begründet wird, wo

solche überhaupt angenommen werden, so kann man doch umge-

kehrt nie und nimmer zugeben, daß von der Erkenntnistheorie

1

Carl Praechter: Die Philosophie des Altertums, Bd 1, 12. Aufl., Berlin

1926,

S. 329. — Vgl. auch Eduard Zeller: Die Philosophie der Griechen in ihrer

geschichtlichen Entwicklung, Teil 2, Abt. 1, 5. Aufl., Leipzig 1922, z. B. S. 644 f.,

658 und öfter.