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stehlich als ein Inbegriff von Ganzheiten auf. Das gesamte organi-
sche Leben zeigt sich den zergliedernden Wissenschaften als ein
S t o c k w e r k b a u v o n G a t t u n g e n u n d A r t e n . Wir
finden ihn als solchen in jedem Lehrbuche der Botanik und Zoologie
dargestellt. Nicht nur im begrifflichen Sinne aber zeigen diese Wis-
senschaften die Gattungen und Arten als das Allgemeine und damit
als Ganzheit überhaupt; sondern sie zeigen sie auch als wirksame,
als das Einzelne bestimmende Ganzheit. Besonders die Vererbungs-
lehre zeigt, daß die Art (Eichenheit — Eiche und so fort) als be-
s t i m m e n d aufgefaßt werden muß, als das e r z e u g e n d e All-
gemeine, nicht bloß als Einteilungsschema
1
. Ebenso erscheint der
gesamte objektive Geist, wie er in den gesellschaftlichen Wissen-
schaften und in der Geschichte betrachtet wird, als ein erzeugendes,
b e s t i m m e n d e s Allgemeines, das sich als Stufenbau, von der
Gesamtkultur, der „Menschheit“, herunter durch die Kulturkreise,
Staaten-Gemeinschaften, Kirchengemeinschaften usw. bis zu den
Staaten und den Einzelnen als den letzten Gliedern (Bürgern usw.)
überschauen läßt.
Wer auf solche Weise das ganzheitliche Gefüge der organischen
und geistigen Welt erkennt und in den zergliedernden Wissenschaf-
ten vorgezeigt findet, wer demgemäß einen Inbegriff von Ganzhei-
ten in dieser Welt ausgegliedert sieht — für den ist der Schritt zur
Annahme von „Ideen“ schon getan! Denn worin besteht denn nun
die Annahme von Ideen? Nur / darin: daß man vom b l o ß
f o r m e 1 1 - v e r f a h r e n m ä ß i g e n u n d
v o m
b l o ß
g e -
f ü g e m ä ß i g e n
B e g r i f f e
d e r
G a n z h e i t
( d e m
S t r u k t u r b e g r i f f e ) z u d e m B e g r i f f e d e r G a n z -
h e i t a l s e i n e r o n t o l o g i s c h e n W e s e n h e i t f o r t -
s c h r e i t e t .
Das ist der Weg von der Ganzheit zur Idee.
Dieser Schritt von der verfahrenmäßigen zur gegenständlichen,
von der gefügemäßigen zur seinsmäßigen Ansicht der Dinge ist in
der Welt der objektiven Organismen und des objektiven Geistes
unvermeidlich. Es sind gerade in der rein zergliedernden Betrach-
tung nicht nur gefügemäßige Tatbestände, was uns entgegentritt.
Denn es sind greifbare, die Geschichte, die Gesellschaft, die gesamte
1
Vgl. Karl Faigl: Ganzheit und Zahl, Jena 1926, S. 59, 67, 81 f. und öfter.