[15/16]
19
zum erstenmale gebraucht haben soll), von Lessing bis zu Darwin,
Haeckel und Lamprecht, ja bis heute und wohl auch bis morgen
reicht diese Richtung ungeschichtlichen Denkens.
Von geschichtsphilosophischen Lehrgebäuden, die auf dem Boden
der Aufklärung entstanden, sind nunmehr die wichtigsten kurz
herauszuheben.
2. Vico
Der Italiener Giambattista Vico
1
darf mit einigem Rechte als der
erste naturalistische Geschichtsphilosoph gelten. Sein Werk ist aber
keineswegs einheitlich; es trägt metaphysische und naturalistische
Züge, die einander widersprechen. Es fehlt nicht an Verworrenhei-
ten, indessen auch nicht an tiefsinnigen Bemerkungen.
Vico entwickelt seine Lehre zunächst in über 100 unzusammenhängenden
„Lehrsätzen“. Aus ihnen und der späteren Darstellung kann man folgendes her-
ausheben: „Die neue Wissenschaft“ fragt nach der gemeinsamen Natur der Völ-
ker, um die „ewige, ideale Geschichte“ festzustellen. Die Geschichte ist von Men-
schen gemacht. Das natürliche Recht ist gesondert bei allen Völkern entstanden.
Die menschliche Natur ist überall die gleiche; Gesellschaft und Geschichte aller
Völker zeigen gleichen Lauf (4. Buch; hier scheint Vico einen Gedanken des
Polybios aufgegriffen zu haben). Die „ideale Geschichte“ besteht ihm darin, daß
alle Völker durch dieselbe Stufenfolge der Bewegung gehen, nämlich die fünf
Stufen des: Entstehens (roh); Fortschrittes (streng); der Blüte (milde); des Ab-
stieges (weichlich) und Endes (zügellos). — Zugleich unterscheidet Vico drei
Zeitalter: das göttliche, heroische, menschliche, denen drei Arten von Naturen
entsprechen: die schöpferische Phantasie, der Wille, das theoretische Denken;
ebenso drei / Arten von Regierungen: die theokratische, die heroisch-aristokra-
tische, die monarchisch-republikanische, in der alle Menschen gleich sind, ebenso:
drei Naturrechte, drei Sprachen (und anderes mehr). — Die menschlichen Wil-
lenshandlungen, die göttliche Vorsehung, die natürlichen Bedingungen und die
Ideen sind die Bestandteile der geschichtlichen Ursächlichkeit.
Naturwissenschaftliche und metaphysische Bestandteile sind, wie ersichtlich,
bei Vico unausgeglichen nebeneinander zu finden. Die Vorsehung versteht er
dahin, daß sie die selbstsüchtigen Absichten der Menschen für ihre Zwecke nützt.
Die geschichtlichen Naturgesetze sind ihm auf diese Weise zugleich Mittel in
Gottes Hand. Ferner scheint trotz der naturhaften Abläufe der Geschichte nach
Vico das Ziel der Menschheitsentwicklung über die Sinnenwelt hinauszuweisen.
Das irdische Ziel scheint ihm eine „ideale Republik“ nach Art des rationalisti-
schen Naturrechtes zu sein. — In der Gegenwart hat der Neapolitaner Benedetto
C r o c e, ein Neuhegelianer, wieder an Vico angeknüpft und ihn mit Hegel in
Verbindung gebracht.
1
Giovanni Battista Vico: Principi di una scienza nuova d’intorno alla
communa natura della nazioni, 2 Bde, Neapel 1725, deutsch von Erich Auer-
bach unter dem Titel: Die Neue Wissenschaft über die gemeinschaftliche Natur
der Völker, München 1924.
2*