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hinauf oder hinab gegeben habe. — Diese Behauptung will nicht in der Luft
hängen und sich auch nicht auf / metaphysische Überzeugungen stützen. Die un-
befangene, genaue, treue Zergliederung der geschichtlichen Tatsachen allein soll
sie stützen.
Von den Religionsstiftungen ganz zu schweigen, ist es in der Kunstgeschichte
z. B. handgreiflich, daß ein Michelangelo, ein Goethe, ein Mozart, ein Novalis
geführt haben. Aber woher haben diese Männer ihre Einfälle? Daß die Ein-
gebung nur von oben kommt, haben sie alle bezeugt. Und wer es bezweifelt,
steht der Kunst innerlich nur allzu fern. So auch die großen Staats- und Heer-
führer. Sollten Alexander, Friedrich der Große nicht besser gewußt haben, daß
sie unter dem Schutze einer höheren Macht stehen, als diejenigen, die von
ihren Taten nichts getan haben?
Die Geschichte, auch jene der Ganzheiten, muß vor allem nach den aus dem
Geheimnis aufbrechenden Innenkräften, nach Genie und Charakter der großen
Führer suchen, welche die Zeiten förderten; sie muß auch verstehen, inwiefern
diese aus dem G e s a m t g e i s t e gefordert und mitgeschaffen wurden, das heißt
wie der o b j e k t i v e G e i s t s i c h i m s u b j e k t i v e n G e i s t e
d u r c h ü b e r n a t ü r l i c h e o d e r d ä m o n i s c h e A u s b r ü c h e d e r
s u b j e k t i v e n G e i s t e r , d e r G l i e d e r , f o r t b e w e g t . Das heißt
es: daß die Geschichte in keiner Rechnung aufgeht.
C. Z u f a l l
Um den Freiheits- und Schicksalsbegriff ganz zu bestimmen, bedarf
es auch einer Erklärung des Zufalls. Zufall ist ein Begriff, der dem
ursächlich-mechanischen Denken fremd sein müßte. Zufall ist voll-
kommen ausgeschlossen bei durchgängiger ursächlich-mechanischer
Naturbestimmtheit der Welt, die schließlich eine mathematische
Eindeutigkeit ergibt. Zufall ist aber auch bei vollkommen zweck-
hafter (teleologischer, idealer) Bestimmtheit der Welt ausgeschlos-
sen. Auch da ist nämlich Eindeutigkeit vorhanden, wenn auch keine
mathematisch-mechanische, so doch eine zweckbestimmte, teleolo-
gische Eindeutigkeit. — Beide Male wäre alles, was geschieht, Teil
einer schlechthin geschlossenen und undurchbrochenen Kette. Der
vom Dache herabfallende Ziegel tötet den Vorübergehenden, das
einemal infolge notwendigen Zusammentreffens mathematisch be-
stimmbarer, mechanischer Ursachenreihen, das anderemal infolge
eindeutigen Zusammentreffens bestimmter Zweckreihen.
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Zufall ist also nur, wo Eindeutigkeit fehlt. Das kann in zwei Fäl-
len geschehen: aus W i l l k ü r , das ist aus einer Freiheit, die der
ideellen inneren Wesenheit nicht folgt; oder aus einer h ö h e r e n
O r d n u n g . Aus bloßer Willkür ist der geschichtliche Zufall —