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Schelling-Hegelischen Dialektik, daß sie den Weg des Geistes in
der Welt kühn zu zeigen unternimmt. Und darum wird dieser
Versuch trotz aller Sonderbarkeiten ewig denkwürdig bleiben.
Es würde in der Geschichtsphilosophie allzuweit abseits führen, diese Ent-
sprechungslehre zu entwickeln und dadurch die Schöpfungslehre zu vollenden. Das
wird an einem anderen Orte geschehen. Wir deuten daher hier nur die drei
Hauptpunkte des Weges an. Es entsteht:
(1)
Die geistige Welt. Am Anfang steht das Urgeheimnis der Gezweiung. In-
dem der Geist in Gezweite (Gezweiungsglieder) auseinandertritt, ist die Schei-
dung, die erste Urscheidung, vollzogen, der Urunterschied (die Urdifferenz) ge-
setzt
1
. Der Urscheidung in Gezweite e n t s p r i c h t wesensnotwendig die
Scheidung in: objektiven Geist und subjektiven Geist. Denn kraft der Gezweiung
sind alle Gezweiten (die subjektiven Geister) gliedhaft und sind daher im höhe-
ren Geistesganzen (objek- / tiven Geiste) enthalten. Durch andere Urunterschiede,
die wir hier nicht erörtern können, und durch Weiterverfolgung aller Entspre-
chungen ergibt sich schließlich jenes Gebäude der Ausgliederung, wie es für
den objektiven Geist die „Gesellschaftslehre“, für den subjektiven die „Pneu-
matologie“ nachzubilden und zu erklären hat. — Da nun ferner die Gezweiung
ein zeitlicher Vorgang ist, so ist damit auch die zeitliche Entfaltung, die Um-
gliederung, die Geschichtlichkeit der geistigen Welt gegeben. Folgt (was wir hier
abermals nicht beweisen können) als letzte Entsprechung des Geistes die stoff-
liche Welt, so ergibt sich als notwendiges Mittelglied:
(2)
Das leibliche Leben, denn der Geist muß irgendwo mit dem Stoffe ver-
bunden sein. Der Leib ist die Verbindungsstelle des Geistes mit der Stoffwelt
(durch Gezweiung höherer Ordnung). Daß der Leib in sich selbst wieder in
Verrichtungszweige (Organsysteme) gegliedert ist, folgt schon aus der Zeitlich-
keit der Gezweiung. Denn ist die Gezweiung ein zeitlicher Vorgang, dann fällt
auch der Leib der Zeit anheim. Dem entspricht die Fortpflanzung (System des
Generativen). Der Verbundenheit von Geist zu Geist entspricht die Verbindung
des Leibes mit der übrigen Lebe- und Stoffwelt (Ernährung, Verdauung: System
des Kommunikativen). Das sind Entsprechungen, die sogleich einleuchten.
(3)
Die stoffliche Welt. Sie ist als äußerstes Ende der Entsprechungen des Gei-
stes zu begreifen und in diesem Sinne auch als seine äußere Unterlage. Mit der
Stofflichkeit ist die Welt als zeitliche (nach 1) und räumliche (nach 3) aus den
Entsprechungen des Geistes verständlich gemacht. Indem der Geist in Selbst-
setzung die Entsprechungen seiner eigenen Unterschiede setzt, setzt er die Welt
als einen Inbegriff von Ausgliederungen; indem er dies in der zeitlichen Form
der Gezweiung tut, als Umgliederung; indem er als äußerstes Ende der Ent-
sprechungen die Stofflichkeit setzt, gibt er ihr einen räumlichen Hintergrund.
So groß ist der Geist, daß nach seinen Entsprechungen die ganze Welt, die un-
geheuren Räume und Stoffe entstehen. Der Geist ist auch Urquell der Natur.
Wie immer die Schritte der Entsprechungen ausgelegt und verfolgt werden,
diese Urweise des Auseinandertretens der Inhalte (Potenzen, Kräfte) des Geistes
ist es, in der die Welt entsteht. Darum entsteht die Welt als Gesamtgliederbau,
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Mit einem bloß formalen Gegensatze, dem dialektischen, zu beginnen, wie
Hegel tut, führt nicht zum Ziele. Nur eine inhaltliche Urscheidung kann sich in
Entsprechungen f ortsetzen.