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Später wird / die Naturwissenschaft anderes lehren. Jedenfalls soll
die Philosophie sich möglichst wenig an die Ansichten der Zeit
ketten und ihre Lehrbegriffe aus freiem Nachdenken des tiefsten
Gehaltes der Erfahrung heraus entwerfen. Echtes wissenschaftliches
Versenken weist stets auf den Geist hin.
Noch könnte man einwenden, daß durch die Lehre von der
Welt als der Entsprechungsfolge des Geistes Gott der Welt ent-
fremdet würde. Denn nur die Seele in ihrem Grunde gehört Gott
an (der Seelengrund, das Fünklein, das Ausgliedernde, der Grund
der Seelen- oder Geisteskräfte); alles andere gehört nicht Gott an,
sondern folgt erst daraus im Sinne der Entsprechung. — Dem
stellen wir entgegen, daß nach der Entsprechungslehre die Welt
nicht eine Schöpfung des menschlichen Geistes in dem Sinne ist,
daß dieser Geist sie durch ein „Werde“ (das ja Selbstsetzung wäre
und sein müßte) erschüfe. Im Gegenteile, der Geist ist nichts ohne
Gott und nichts, wenn er nicht in seinem Grunde, in Gott verbleibt.
Unser Lehrbegriff der Schöpfung sagt nur, daß mit dem mensch-
lichen Geiste als einem Inbegriff von Entsprechungen die Unter-
schiede (Differenzen), die im menschlichen Geiste bestehen, das
heißt die Welt, gesetzt ist. In der Schöpfung des Geistes ist die
Gründung der Welt schon eingeschlossen (implicite).
Meister Eckehart sagt: „Der Grund, warum Gott die Welt ge-
schaffen, ist er selber. In allen Dingen meint Gott sich selber. Dar-
um ist Gott auch das Ziel der Welt.“
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Dieses Sichselbstmeinen Got-
tes in der Welt durch die Entsprechungsfolgen des Geistes hindurch
ist unentbehrlich für den Bestand der Welt. Es ist ein andrer Aus-
druck für die R ü c k v e r b u n d e n h e i t , für die Befaßtheit der
Welt in Gott. Gott ist, wie auf dem Grunde des Geistes, so auch
durch diesen hindurch auf dem Grunde der gesamten Welt.
Das ist ein entscheidender Punkt. Aus ihm ergibt sich eine wich-
tige Folgerung. In der Selbstliebe, dem Sichselbstmeinen, / Selbst-
bezwecken, Selbstbeschauen Gottes liegt, daß sie nicht allein in der
rein geistigen, sondern auch in der leiblichen und stofflichen Welt
vor sich geht. Daraus ist eine sonst schwer erklärliche Grund-
erscheinung des Geistes zu erhellen: die doppelte Sinnlichkeit, näm-
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Meister Eckehart, herausgegeben von Franz Pfeiffer, Leipzig 1857, S. 13,
Zeile 10, S. 285, Zeile 36 f. und öfters.
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