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Allerdings wird die Vielfalt äußerer Formen, welche die Reli-
gionen in der Geschichte aufweisen das reine Wesen der Religion
nicht bloß verdecken, sondern sogar angreifen; aber sofern dieses
Wesen überhaupt noch erhalten bleibt, muß es doch immer die
gleichen Urbegriffe oder Kategorien an sich haben.
Mit dieser Erkenntnis ist der Zugang zum Verständnis der
R e l i g i o s i t ä t in den Religionen schon eröffnet. Der folgende
Überblick über die religiösen Urbegriffe oder denknotwendigen
Kategorien soll das beweisen. Fürs erste genüge eine ganz kurze Be-
trachtung, da wir ihnen später noch auf verschiedenen Wegen, in
verschiedenen Zusammenhängen begegnen und sie dann eingehender
untersuchen werden.
I.
Das D a s e i n G o t t e s
In diesem Punkt dürfen wir uns kurz fassen, da auch der zwei-
felnde Mensch der Neuzeit das Dasein Gottes nicht zu leugnen
pflegt. Seine Einwände gelten hier nur dem Gottes b e g r i f f , in-
dem er diesen entweder mehr „pantheistisch“ oder mehr „deistisch“
faßt. Im letzteren Fall glaubt er, den materialistischen und positi-
vistischen Tendenzen der modernen Naturwissenschaft entgegenzu-
kommen. Denn bekanntlich sagt der D e i s m u s : Gott schafft die
Welt, aber er überläßt sie sich selbst wie ein aufgezogenes Uhrwerk;
der Ablauf des Weltprozesses ist darnach eindeutig vorbestimmt,
die kausalen Naturgesetze gelten unverbrüchlich. Im Fall des P a n -
t h e i s m u s versucht er, die All-Lebendigkeit der Welt hervorzu-
heben, denn der Pantheismus sagt bekanntlich: Gott ist der Welt
ganz immanent, er ist in seinen Modifikationen die Welt (Baruch
de Spinoza) oder Gott ist durch Emanation in die Welt ausgeflossen,
Gott und die Welt wären also zuletzt einerlei. — Jedoch kümmern
wir uns um die Fragen des Gottes b e g r i f f e s , das heißt der
Gottes l e h r e , hier noch nicht, uns gilt jetzt nur der religiöse Ur-
begriff „Gott“, die religiöse Kategorie der Transzendenz überhaupt,
die im Gottesbewußtsein liegt.
/
Daß nun „Gott“ eine religiöse Urbestimmung, eine Kategorie,
ja die Voraussetzung jeder Religion sei, wird wohl niemand leug-
nen. Sie gehört dem Wesen der Sache nach zur Religion. Das Inne-
werden dessen, in welchem der Mensch rückverbunden ist, von wel-
chem er befaßt ist, Gottes, ist der Anfang aller Religion.