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Menschen, andererseits eine Herabziehung Gottes auf die mensch-

liche Ebene. Indessen ist dem als eine Tatsache der höchsten reli-

giösen Erfahrung aller Zeiten und Völker entgegenzuhalten, daß

sich in den mystisch-ekstatischen Zuständen die Seele nicht mehr

von Gott getrennt, sondern eins mit ihm findet. Diese Erfahrung

wurde darum als Ureinheit oder Urverwandtschaft des Menschen

mit Gott von aller Mystik und von allen höheren Religionen der

Welt aufgefaßt. Der indische Brahmanismus in allen seinen Formen,

der Buddhismus mit allen seinen Sekten (denn auch das Eingehen

in das Nirvana wäre ohne solche Urverwandtschaft nicht möglich),

alle Religionen, in denen das Lichtreich eine Rolle spielt, alle jene,

in denen hohe Mysterien gefeiert werden, der Sufismus des Islam

und so sämtliche anderen höheren Religionen bis zum Christen-

tum gaben in der einen oder anderen Weise dieser Urverwandt-

schaft, Einheit oder Ebenbildlichkeit der Seele mit Gott Ausdruck.

Wie weit dann freilich die begrifflichen Ausprägungen vonein-

ander abweichen und entweder wirkliche E i n e r l e i h e i t , diese

Einerleiheit wieder aus Realität oder aus Gnade behaupten, oder

wie weit nur W e s e n s ä h n l i c h k e i t , Wesensverwandtschaft —

das ist eine Frage, welche in das abgeleitete Gebiet der philosophi-

schen und theologischen Erkenntnis, nicht mehr in das der religiösen

Urbestimmungen oder Kategorien selbst gehört.

Der Einwand, jene ekstatisch-mystischen Zustände seien krank-

haft

1

, kann nicht anerkannt werden. Denn es liegt schon im Wesen

der Religion als Rückverbundenheitsbewußtsein, daß der Mensch

sich von Gott als einem Ü b e r l e g e n e n befaßt, gleichsam vom

Meer der Gottheit wie verschlungen fühlte. Das liegt ja auch in

jeder pantheistischen Fassung des Gottesbegriffes und schließlich

auch in Schleiermachers „Gefühl der Abhängigkeit schlechthin“,

wenigstens sofern dieses Gefühl den Menschen im Innersten durch-

dringt. Niemand könnte aber hier von krankhaften Zuständen

sprechen.

1

So James Henry Leuba: Die Psychologie der religiösen Mystik, deutsch aus

dem Englischen von Ernst Pfohl, München 1927; zum Teil auch William James:

Die religiöse Erfahrung in ihrer Mannigfaltigkeit, Materialien und Studien zu

einer Psychologie und Pathologie des religiösen Lebens, deutsch von Georg

Wobbermin, 2. Aufl., Leipzig 1914.