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schen, Unsterblichkeitsbewußtsein, Schöpfertum, Erlösung, Gnade,
um nur diese hier in Erinnerung zu bringen, erwiesen sich als
diejenigen Kategorien, welche die Religiosität in den Religionen
begründen und zuletzt mystischen Ursprungs sind. Im folgenden
werden wir sie nicht nur als allgemeine Kategorien, sondern über-
dies als Quellen bestimmter Ausgestaltungen, das ist Konkretisie-
rungen der Religion kennenlernen, also jener Konkretisierungen,
welche die Mystik in klassischer Weise zur Bildung aller Religionen
beisteuert.
Ehe wir dies alles näher begründen, ist aber die Frage, ob es
Mystik überhaupt gebe und worin ihr Wesen bestehe, noch gründ-
lich zu untersuchen und gegenüber materialistischem und rationa-
listischem Unverständnis vollständig zu klären.
IL Was ist Mystik?
Die Mystik als die letzte Quelle innerer Gotteserfahrung wurde
um so mehr angezweifelt, zum Teil sogar in der Theologie selbst
bekämpft, je positivistischer und naturalistischer die Neigungen
des Zeitalters waren. Was ist also Mystik? und was wurde gegen
sie eingewendet?
„Die keiner göttlichen Süßigkeit empfunden, darum sind sie
träge“, sagt Meister Eckehart
1
. Es kommt darauf an, den ersten
Funken aus dem Stein zu schlagen. Wer einmal von jener feurigen
Süßigkeit gekostet, der weiß was Mystik ist und läßt nicht ab, ihren
Bahnen zu folgen.
Auf dem heiklen Boden, den wir mit der Frage „Was ist My-
stik“ betreten, heißt es behutsam vorgehen. Mit bloß äußerer Ge -
lehrsamkeit werden wir hier wenig ausrichten, andererseits aber
darf die Berufung auf innere Erfahrung nicht der Unklarheit oder
Schwärmerei verfallen.
Mystik wird meist von μυεϊν, sich schließen, die Augen schließen,
abgeleitet. Das Wort Mystik sagt uns also nichts, als daß es auf
Verschlossenes, Verborgenes deutet (daher Mysterion, τό μνστήφιον
das Geheimnis, der Geheimdienst).
Einfach ist es, festzustellen, was Mystik n i c h t sei: Mystik ist
nicht Schwärmerei, Unklarheit. Wer das behauptet, verwechselt den
Mißbrauch mit der Sache. Solche Unklarheit pflegt man wohl / My-
1
Franz Pfeiffer: Meister Eckhart, Leipzig 1857, S. 609, Zeile 37.