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seiten des Menschen mit Notwendigkeit G o t t e s l i e b e hervor.

Denn was sich eins weiß, ist von Liebe durchdrungen. Liebe beruht

überall auf dem Innewerden der Einheit des Wesens, hier des

menschlichen Seinsgrundes mit Gott.

Anders ist die Liebe von seiten Gottes. Sie kann nicht erst auf

dem Innewerden der Einheit mit dem Geschöpf, dem Menschen,

beruhen. Denn dann wäre sie etwas Abgeleitetes. Gott kann aber

nur Urtümliches zukommen, nur Ungewordenes. Daher muß die

Liebe zu seinem Wesen gehören. Wäre dem nicht so, dann könnte

er nicht das d i f f u s i v u m s u i sein, könnte nicht Selbstmitteilung

die Grundlage der Schöpfung bilden. Mit elementarer Gewalt

spricht dies Meister Eckehart aus:

„Da Gott wirket in der Seele, da minnet er sein Werk. Das Werk ist die

Minne und die Minne ist Gott. Gott minnet sich selber und seine Natur, sein

Wesen und seine Gottheit. In der Minne, da sich Gott minnet, darinne minnet

er alle Kreaturen, nicht als Kreaturen, mehr: Kreaturen als Gott“

1

.

Diese zweifache Liebe muß freilich erst außerhalb des ekstatischen

Zustandes ins Menschliche, Begriffliche übersetzt werden. Sie kann

daher verschiedene Fassung und Deutung erhalten, wie / denn auch

die Religionsgeschichte zeigt; aber keiner höheren Religion, wo sie

auf mystischen Grund kommt, fehlt die Gottesliebe. Und zwar hat

diese überall den zweifachen Sinn, der im Wort liegt, der Liebe

Gottes zu den Menschen wie der Liebe des Menschen zu Gott.

Letztere fehlt in keiner Religion und Mystik, bei Platon und Ari-

stoteles zum Beispiel kommt sie als Eros und Zug des Menschen

zu Gott zum Ausdruck, auch erstere kann im Grunde nie fehlen.

Bei Platon liegt sie schon in der Güte

1 2

, Neidlosigkeit

3 4

und Fürsorge

der Götter

4

beschlossen; bei Aristoteles in der tiefsinnigen Lehre,

daß Gott durch Selbstbetrachtung die Welt innerlich errege, bewege,

also die Menschen an sich ziehe. — Auch in der praktischen Reli-

giosität der buddhistischen Richtungen fehlt die Liebe Gottes zu

den Menschen niemals.

Es ergeben sich aber daraus noch weitere Folgerungen. „Gott

1

Franz Pfeiffer: Meister Eckhart, Leipzig 1857, S. 179, Zeile 36 und S. 180,

Zeile 1—5.

2

Platon: Phaidros 246 e.

3

Platon: Phaidros 247a; Timaios 37c.

4

Platon: Über die Gesetze 645b, 653c f., 716a ff., 899d ff. und 901d ff.