Table of Contents Table of Contents
Previous Page  7044 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 7044 / 9133 Next Page
Page Background

122

[106/107]

Eben dieses Bewußtsein der Rückverbundenheit in Gott bleibt

aber kein Abstraktum. Es ergreift den Menschen, es durchdringt

ihn, wandelt ihn im Innersten um. Die Frucht ist die Gewißheit

vollkommenen A u f g e h o b e n s e i n s des Menschen in Gott.

In diesem Bewußtsein der Rückverbundenheit, konkretisiert zur

Aufgehobenheit in Gott, liegt indessen schon etwas von einer Fol-

gerung, Deutung, begrifflichen Bestimmung, welche dem Grund-

gehalt des überall gleichen Urerlebnisses mystischer Befaßtheit hin-

zugefügt wird. Daher kann dabei der eigene freie Wille mehr oder

weniger lebendig mitgedacht werden, oder die Aufgehobenheit

kann sich mehr oder weniger dem Begriff der E r g e b e n h e i t in

das Unabänderliche (Islam) nähern, wodurch sie zuletzt im Begriff

des blinden F a t u m s endet. Damit hat sie sich jedoch vom mysti-

schen Ausgangspunkt schon entfernt; ebenso wenn sie sogar zum

Begriff einer, den freien Willen ausschließenden P r ä d e s t i n a -

t i o n oder Vorherbestimmung fortgeht. /

Das mystische Bewußtsein der Geborgenheit und Aufgehobenheit

in Gott birgt bei tieferem Durchdenken die Frage in sich, wie sich

dieses Aufgehobensein und die eigene Tätigkeit, anders gesagt, wie

sich g ö t t l i c h e G n a d e u n d m e n s c h l i c h e W i l l e n s -

f r e i h e i t , Schicksal und eigenes Handeln, zueinander verhalten.

Wie immer im einzelnen diese Frage gelöst werde — Franz von

Baader legte darüber in seinen „Vorlesungen über spekulative Dog-

matik“ tiefdringende Untersuchungen vor

1

— soll das mystische

Bewußtsein dabei erhalten bleiben, so darf der eigene Wille nicht

völlig ausgeschaltet werden. Ist ja schon die Hingabe an den gött-

lichen Einfluß selber ein Willensakt, eine innere Tätigkeit.

Soviel ist gewiß, daß die Begriffe einer völlig determinierenden

Prädestination, des Fatums, des unabänderlichen Schicksals, weil sie

jede eigene Willensbetätigung ausschalten, den m y s t i s c h e n

Grund der Frömmigkeit verlieren, ja sogar das Verhältnis zu einem

persönlichen Gott verschütten, da ja letzteres gerade darin besteht,

daß der Mensch eine gewisse Freitätigkeit seinem Schöpfer gegen-

über behalte.

1

Franz von Baader: Sämtliche Werke, Bd 8, Leipzig 1851—1860, S. 106 ff.,

115 ff. und öfter.