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3.
Der auftretende Held kämpft und siegt oder leidet, stirbt und steht wieder
auf.
4.
Der siegende Held feiert seine Apotheose, empfängt den Kampfpreis, die
Herrschaft und Schicksalsleitung und feiert die himmlische Hochzeit"
1
. In der Sage
wird dieses Geschehen auf einen bestimmten Helden übertragen, / z. B. auf den
griechischen Herakles und den germanischen Siegfried
2
. „Als Festperikope für die
Kalenderfeste der Heilbringererwartung wird die Sage zur Legende. So wurde in
Babylonien die epische Darstellung des mythischen Kampfes und Sieges des Er-
lösers Marduk zur Schöpfungslegende, die bei dem großen Neujahrsfest, in dem
sich das Weltneujahr spiegelt, rezitiert, beziehungsweise gesungen wurde. Man
spricht insofern mit Recht von der Alexanderlegende, als Alexander Soter Welt-
heiland sein sollte . . . ebenso darf man von Davidlegende, Moseslegende sprechen,
weil diese Gestalten ... als Typen auf den Erlöser gezeichnet wurden. Die Mo-
hammedlegende ist aus der Moses- und Josualegende und aus der David- und
Salomonlegende konstruiert worden . . . Auf der unteren Stufe bildet der Mythos
das (echte) Märchen“
3
.
Wir müssen diese Theorie ablehnen. Denn erstens ist der Mythos grundsätzlich
nicht primär „Naturimagination“, Ablesung vom „gestirnten Himmel“, wie Jere-
mias behauptet
4
, sondern entsteht durch Scheidung der einen mystischen Gottes-
vorstellung in kategorialer Anwendung auf die Welt, wobei sich aber in Wahr-
heit mehr Geistig-Sittliches als Naturhaftes zeigte.
Sodann ist es analytisch unrichtig, daß es nur einen einzigen Urmythos, den
der Erlösererwartung gebe. Schon die Kosmogonien (Theogonien) widerlegen das
augenscheinlich. Da vielmehr jede der unterschiedenen Geistes- und Naturmächte
nach Maßgabe der mystisch-religiösen Kategorien aufgefaßt wird, gibt es so viele
Grundmythen als Kategorien. Außer der Verbindung mit der Kategorie der Er-
lösung sind es noch, wie sich zeigte, hauptsächlich die Verbindungen mit den
Kategorien der Gottverwandtschaft des Menschen, der Einheit des göttlichen
Grundes mit dem Weltgrund, der Unsterblichkeit, der Liebe, welche Mythen aus
eigener Quelle begründen.
Außerdem besteht ein anderes Gesetz der Mythenbildung, welches Jeremias
übersieht: die Mythen entspringen auch aus den inneren Erfahrungen, welche der
Mystiker und Magier in seinem Werdegang macht (Herakles und andere). Hierauf
beruhen insbesondere die mythologischen Sinnbilder. Diese Mythen werden we-
sentlich nur in exoterischen Einkleidungen zur Erscheinung kommen, wie sich
später noch zeigen wird
5
.
/
1
Alfred Jeremias: Die Bedeutung des Mythos für das Apostolische Glaubens-
bekenntnis, Leipzig 1933, S. 13f.
2
Alfred Jeremias: Die Bedeutung des Mythos für das Apostolische Glaubens-
bekenntnis, Leipzig 1933, S. 14.
3
Alfred Jeremias: Die Bedeutung des Mythos für das Apostolische Glaubens-
bekenntnis, Leipzig 1933, S. 14 f.
4
Alfred Jeremias: Die Bedeutung des Mythos für das Apostolische Glaubens-
bekenntnis, Leipzig 1933, S. 15.
5
Siehe unten S. 234 ff.