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derer Länder sei aus „ z u s a m m e n g e f l o s s e n e n G a u g ö t -
t e r n “ entstanden, so müssen wir dem widersprechen. Ein natura-
listischer Irrtum! Denn, wären es nur einzelne, atomisierte Gott-
heiten, so könnten sie niemals zu einem S y s t e m „zusammen-
fließen“; waren sie aber schon jeweils in Göttergenerationen und
-Systeme
gegliedert, so flossen damit auch Theologien zusammen —
Systeme, nicht eine ungegliederte Menge ein- / zelner Götter,
Systeme, wie sie von den ursprünglichen mystischen Führern aus-
gingen.
Welche innere Notwendigkeit der Gliederung der Götter nach
Rangfolge im Stufenbau oder in der Generationsfolge zukommt,
ergibt sich auch daraus, daß wir die Rang- und Stufenfolge in allen
mythologischen Religionen der Geschichte antreffen!
O h n e e i n s p e k u l a t i v e s E l e m e n t , w e l c h e s a u f
d e r m y s t i s c h e n E r f a h r u n g g r ü n d e t , i s t d i e V e r -
e h r u n g h o h e r G ö t t e r n i c h t e n t s t a n d e n ; daher
spielt denn auch die Verbindung dieser Götter mit der Natur
eine sekundäre Rolle — wie ebenfalls die Geschichte beweist
(Zarathustra!).
Dies alles wird besonders klar an jener Religion, welche die
bedeutendsten alten Urkunden aufweist, der indischen.
c .
D i e I n d e r
In den philosophischen Hymnen des Rigveda und Atharvaveda
finden wir die lehrreichsten und ältesten, zum Teil ins zweite,
vielleicht ins dritte Jahrtausend v. Chr. zurückgehenden und jeden-
falls noch viel weiter zurückweisenden Zeugnisse dafür, wie sich
in den Mystikern jener altersgrauen Zeiten der, längst schon vor
ihnen vollzogene Übergang von der e i n e n mystischen Urgott-
heit, dem e i n e n Brahman, zu den vielen Göttern spiegelte. Auf
die einfachste Weise spricht das Grundsätzliche ein Vers des Athar-
vaveda (XI, 8, 32) aus:
„Daher meint der den Menschen Kennende:
Dies ist das Brahman: denn in ihm (dem Brahman)
weilen alle Gottheiten wie die Kühe im Kuhstall“'.
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Lucian Scherman: Philosophische Hymnen aus der Rig- und Atharvaveda-
Sanhitä mit den Philosophen der älteren Upanishads, Straßburg 1887, S. 68,
vgl. S. 58.
14 Spann, Religionsphilosophie