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Geht man von einer mystischen Urerfahrung als Grundlage aller

Religiosität aus, dann ist es nicht verwunderlich, in diesen ältesten

Zeugnissen religiösen Denkens der Menschheit einen Monotheismus

hervortreten zu sehen, als d e s s e n b l o ß e r A n h a n g d e r

P o l y t h e i s m u s e r s c h e i n t . Denn die innere mystische Er-

fahrung ist monotheistisch. Von den ältesten Vedahymnen betonen

bekanntlich viele den Monotheismus.

Zum Beispiel heißt es Rigveda X, 81, 3: „Der nach allen Seiten das Auge

richtet, nach allen Seiten den Mund, nach allen Seiten Arme, nach allen Seiten

Füße hat, er bläst zusammen mit Armen, mit Flügeln, Erde und Himmel schaf-

fend, der e i n e Gott“

1

.

X, 82, 3: „Der als unser Vater, Erzeuger, der als Ordner alle Emanationen /

und Wesen kennt; der einzig nur den Göttern Namen (das heißt Wesen) verleiht,

zu ihm zur Befragung gehen die anderen Wesen“

2

.

Dasselbe Bild zeigt die bekannte Lehre des Rigveda, wonach das

Brahman vier Füße habe, von denen drei transzendent sind, wäh-

rend ein Fuß „alle Wesen“ ist:

„So groß die Majestät ist der Natur,

So ist doch größer noch der Geist erhoben:

Ein Fuß von ihm sind alle Wesen nur . . ,“

3

.

In den folgenden Stellen der Chandogya-Upanischad nun wird dies nicht fest-

gehalten, es wird das Brahman ausschließlich in seiner Darstellung in der Welt

betrachtet und daher als vier Füße des Brahman, als die Teile dieser Welt, be-

gründet angesehen. Es heißt dort (III, 18, 2):

„Dieses Brahman hat vier Füße: die Sprache ist ein Fuß, der Atem ist ein

Fuß, das Auge ist ein Fuß, das Ohr ist ein Fuß. So in bezug auf das (eigene)

Selbst. Nun in bezug auf die Gottheit: Agni (Feuer) ist ein Fuß, Vâyu (Wind)

ist ein Fuß, Aditya ist ein Fuß, die Weltgegenden sind ein Fuß“

4

.

Die Entsprechungen, die sich hier zwischen den Teilen des menschlichen Selbstes

und den Teilen der in der Welt sich darstellenden Gottheit finden, scheinen mir

höchst lehrreich.

1

Lucian Scherman: Philosophische Hymnen aus der Rig- und Atharvaveda

Sanhitâ, Straßburg 1887, S. 33.

2

Lucian Scherman: Philosophische Hymnen aus der Rig- und Atharvaveda-

Sanhitä, Straßburg 1887, S. 36. — Parallelstellen aus anderen Vedahymnen stellt

Scherman, S. 35, zusammen.

3

Rigveda 10, 90, 3, deutsch von Paul Deussen ,in: 60 Upanishads des Veda:

Chandogya-Upanischad 10, 3, 12, 8.

4

Ich folge hier der sorgfältigen Übersetzung von Lucian Scherman: Philoso-

phische Hymnen aus der Rig- und Atharvaveda-Sanhitä, Straßburg 1887, S. 63.

— Wenn Deussen hier einfach Feuer, Wind, Sonne übersetzt, ist übersehen, daß

es sich ja ausdrücklich um Gottheiten handelt, also um den Gott des Feuers

(Agni), Gott des Windes (Vayu), Gott der Sonne (Aditya) und um die Gotthei-

ten der Himmelsgegenden.