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greifen. Einem solchen Irrtum konnte nur der schon ins Kasuistische

abgleitende Naturalismus der induktiven Methode der modernen

Archäologie, Philologie, Volkskunde und Gesellschaftslehre verfal-

len!

In Wahrheit sind die Glaubensgedanken an einzelne Götter stets

nur aus dem Götter S y s t e m heraus entstanden und zu verstehen,

wie ja allein schon alle Kosmogonien lehren. Um wieviel mehr kön-

nen dann die einzelnen Gau- und Ortskulte nur als gliedhafte Ab-

wandlungen einzelner Teile der Göttersysteme und ihrer niederen

Anhängsel verstanden werden; ähnlich wie z. B. der durchaus ört-

liche Kult von L o u r d e s nur aus dem Gesamtsystem des katho-

lischen Christentums begriffen werden kann. Vom Ganzen wird zu

den Gliedern herabgestiegen. Die verörtlichte und immer mehr ver-

engte Gottheit ist nur als Glied oder als Rest der die Welt durch-

dringenden Urgottheit zu verstehen.

Eine vollständige Durchleuchtung der verwilderten heidnischen

Vielgöttereien ist allerdings trotzdem nicht möglich — das liegt in

der Natur der Sache, zu der nun einmal das Wildwuchernde, die

Veräußerlichung, die willkürliche Fabelei gehören.

Geht man über die oben behandelten k a t e g o r i a l e n Er-

klärungen hinaus noch den Umdeutungen, den Anknüpfungen an

verschiedene historische Namen und Menschen, den Verschmelzun-

gen und Spaltungen durch Übernahme fremder Kulte und anderen

willkürlichen Zutaten nach — dann ergeben sich weitere Verein-

fachungen, welche aber nicht mehr Gegenstand der Religionsphilo-

sophie, sondern der Religionsgeschichte und philologisch-geschicht-

lichen Analysis sind.

Als Beispiel, wie weit sich der Naturalismus bisweilen versteigen konnte, füh-

ren wir nur die folgende, die homerischen Götter betreffende Stelle bei J. G.

v. H a h n an. „Mythologische Parallelen“: „...Hera, die Göttin des Dunst-

kreises, Athene, die Göttin des blauen Himmelsgewölbes, Poseidon, der Gott der

Erdnässe, Hephäst, der Gott des irdischen Feuers und der Erdwärme, Hermes,

der Regengott, Ares, der Gott des Sturmes, Apoll, der Gott der Sonne, Aphro-

dite, Artemis, zwei Mondgöttinnen, Leto, Apolls und Artemis’ Mutter... und

Hanthos, der Fluß, in welchem wir einen zusammengeschrumpften Okeanos ver-

muten“

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Johann Georg von Hahn: Mythologische Parallelen, Jena 1859, S. 107.