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III. Die religiösen Kategorien im Christentum
Wenden wir uns zu den religiösen Urbegriffen oder Kategorien
zurück, so finden wir in ihrem Mittelpunkt die Gottverwandtschaft
des Menschen. Aus denselben Zweckmäßigkeitsgründen aber, die wir
schon früher geltend machten, beginnen wir auch hier mit dem
Gottesbegriff.
A. Der G o t t e s b e g r i f f — G o t t i s t G e i s t
Nehmen wir das Ursprüngliche des Gottesbewußtseins, die in-
nere Erfahrung und das Abgeleitete, Lehre und Begriff von Gott,
als eine Einheit, so können wir sagen: Das Christentum lehrt den
geistigsten Gottesbegriff. Es lehrt nicht die in die Welt durch ihre
Wirksamkeit verstrickte Gottheit, wodurch diese sich in viele Götter
teilte, den P o l y t h e i s m u s ; es lehrt auch nicht den damit ver-
knüpften P a n t h e i s m u s (sofern die Götter, in die Natur-
prozesse verstrickt, in diesem aufgehen können), noch den un-
erreichbaren, von der Welt schlechthin getrennten, den schlechthin
transzendenten Gott, welcher diese Welt sich selbst überläßt, den
D e i s m u s (sei es in antiker oder moderner Form, der sogenann-
ten Aufklärung); es lehrt vielmehr den zwar über der Welt wal-
tenden, transzendenten, e i n e n Gott, welcher aber gleichwohl sei-
ner Schöpfung als Erhalter und Lenker gegenwärtig ist, ihr ein-
wohnt. Die Transzendenz bei gleichzeitiger Einwohnung ist aber
dem G e i s t eigen! In dieser Einheit von Transzendenz und Im-
manenz übertrifft das Christentum auch die höchsten, mystisch be-
gründeten Religionen, selbst den ihm in den mystischen Grundlagen
sonst am nächsten stehenden Brahmanismus der Upanischaden.
„Gott ist Geist und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geiste und in der
Wahrheit anbeten“
1
.
Das Christentum entwickelt damit jenen Gottesbegriff, welcher
bei aller Erhabenheit Gottes dem Menschen Gott aufs innigste an-
nähert, da der Mensch selbst Geist ist! Hierin finden wir auch den
augustinischen, später philosophisch von Eckehart entwickelten Satz
wieder: „Gott wird durch Gott erkannt in der Seele“, — wodurch
alle Lehren von der a b s o l u t e n Unerkennbarkeit Gottes als
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Johannes 4, 24.