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B.
Lehrrichtungen in Weiterführung des Sozialismus
1.
Der A g r a r s o z i a l i s m u s
1
Neben physiokratischem, Ricardoschem, kreditpolitischem und
rententheoretischem Lehrgut steht im Vordergrund des Agrarsozialismus die
sozialistische Lehre vom Gemeineigentum an Grund und Boden, der eines der
wichtigsten Produktionsmittel darstelle.
Die alten, ähnlich ausgerichteten Strömungen erhielten neuen Auftrieb
durch den Rätesozialismus, der die Agrarrevolution des Ostens vollendete —
allerdings nicht zu Gunsten der Kleinbauern, sondern mit deren Beseitigung
—, und durch das vielseitige wissenschaftliche Werk Franz Oppenheimers
2
,
dessen sozialwissenschaftliches Lehrgebäude dem Agrarsozialismus, dem
liberalen Neosozialismus und teilweise auch der sozialen Marktwirtschaft Pate
stand. Oppenheimer erwartet von der Beseitigung der Bodensperre und der
Verstaatlichung des Bodens die Aufhebung aller Machtverzerrungen der
menschlichen Gesellschaft (des „politischen Mittels“) und die Heraufführung
der Freibürgerschaft (des „friedlichen Mittels“).
2.
Der N e o s o z i a l i s m u s
Im englischen und im deutschsprachigen Bereiche entstanden
neosozialistische Strömungen, die dadurch gekennzeichnet sind, daß sie
Wettbewerb und Planwirtschaft, Liberalismus und Sozialismus miteinander zu
verbinden suchen. Als Vertreter dieser Richtungen eines sogenannten
freiheitlichen,
demokratischen,
marktwirtschaftlichen
oder
Konkurrenz-Sozialismus seien genannt: Oskar Lange, Fred M. Taylor, Henry
Douglas Dickinson, James Edward Meade, Gerhard Weisser, Karl Schiller und
Gisbert Rittig.
3.
Die W o h l f a h r t s ö k o n o m i e
Vom Standpunkt der Grenznutzenlehre scheint es besonders naheliegend,
den oft gehegten Gedanken weiter zu verfolgen, daß ein höherer
Volkswohlstand nicht nur durch Steigerung des Nationalproduktes, sondern
auch durch dessen bessere Verteilung erreicht werden könnte. Dies vertritt die
Volkswohlstands- oder Wohlfahrtsökonomie (Welfare Economics). So erfahre
nach Arthur Cecil Pigou der gesellschaftliche Nutzen durch Übertragung von
Geldeinkommen der wohlhabenden Schichten auf weniger wohlhabende eine
Erhöhung. Gleiche Einkommensverteilung, also gleicher Grenznutzen für
jedes Individuum, bedeutet demnach — den bestmöglichen Einsatz der
Produktionsfaktoren vorausgesetzt — Maximierung des gesellschaftlichen
Grenznutzens.
1
Vgl. auch oben S. 184 f.; ferner Walter Heinrich: Wirtschaftspolitik, Bd
I, 2. Aufl., Berlin 1964, S. 25 ff. und 29 ff.
2
Franz Oppenheimer: System der Soziologie, 4 Bde, Jena
1922—1935, 2. Aufl., Stuttgart 1964.