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l e i n d a s , w a s s c h o n i s t , k a n n v o n s i c h a u s „wi rke n“,
kann seine Kräfte gebrauchen und auf den andern richten.
Dies ist aber eben gerade nicht die Wahrheit. Vor der Gezweiung existieren die Glieder
noch nicht in j e n e r geistigen Eigenschaft, die nur als Glied der Gezweiung Bestand haben
kann! „Väterlichkeit“, so zeigte sich, kann erst in einem wirklichen väterlichen Verhältnis
sein. Niemand kann daher in das Verhältnis Vater : Kind „eintreten“ in dem Sinne, daß er
schon vorher väterlich war; sondern erst, indem er als Glied dieser Gezweiung sich findet, ist
er väterlich, gleichwie niemand ein Kämpfer sein, nicht Glied der Gezweiung „Krieger —
Gegner“ werden kann, ohne einen Gegner zu haben. Jeder k a n n Glied dieser Gezweiung
werden, wenn jene Geistigkeit, die dieses Gliedsein in sich schließt, in ihm aktuiert
(geweckt) wird; wenn er sich aber als Feigling erweist, der keinen Kämpfermut aufbringt,
kann er es trotzdem nicht werden. Ich „trete“ also nicht als Kämpfer in eine Gezweiung ein,
sondern ich „aktuiere“, bilde mich erst in der Gezweiung.
Als geistiges Glied in einer geistigen Ganzheit aktuiert werden heißt also absolut nicht,
daß zwei schon vorher vorhandene Geistigkeiten eine „Wechselwirkung“ aufeinander
vollzögen. Das erstere ist etwas ganz anderes als das letztere! — Das hat ja auch unsere obige
kurze Zergliederung einiger Gezweiungen gezeigt, insbesondere jene der Freundschaft. Die
Freundschaft war uns oben eine Gezweiung, ein G a n z e s a u s g e i s t i g e n
G l i e d e r n ,
n i c h t
a b e r
e i n e
P s y c h o l o g i e
d e s
F r e u n d s c h a f t s g e f ü h l s . Wir betrachteten / lediglich den gesellschaftlichen
Aufbauprozeß von Geistigkeit, der in der Freundschaft liegt, das heißt den Gliederungs- und
Aufbauvorgang von objektivem Geist. „Objektiv“ soll dabei nichts Mystisches in sich haben
(man kann ja einen Geist allerdings nicht objektiv greifen wie einen Stein), es heißt ganz
einfach: das jeweilig Objektiv-Geistige, z. B. das Begreifen des Gehaltes der Beethovenschen
Symphonien, liegt nicht subjektiv im einen oder anderen Mitglied der Gemeinschaft,
sondern wurzelt in vielen zugleich, ist „Sein im andern“, ist ein Ü b e r i n d i v i d u e l l e s ,
und eben damit ein Objektives.
A. R o b i n s o n u n d A u s w a n d e r e r s c h i f f
Schließlich spielen jene „Hinweise auf die Erfahrung“ bei den
Individualisten eine Rolle, wie sie etwa in der Gestalt des Robinson und in
der Erzählung vom „Auswandererschiff“ liegen.
Robinson, so heißt es, ist eine durchaus mögliche Gestalt — ein auf eine Insel
verschlagener Mensch bleibt doch ein Mensch, er stirbt weder geistig noch körperlich (wie
die abgeschlagene Hand des Organismus dies tut) —, hier wäre daher Selbstsein durch sich
selbst, nicht durch Sein im anderen in der Erfahrung anzutreffen. — In Wahrheit steht aber
der Fall Robinson so, daß eine in Gesellschaft gebildete Geistigkeit, wie sie Robinson
verkörpert, ihren Bestand nicht p l ö t z l i c h zu verlieren braucht, gleichwie ja auch ein
abgehacktes Glied noch tagelang zucken, ein abgeschlossenes Feuer noch wochenlang
glimmen kann. Auch Robinson wird bei langsamer geistiger Verarmung jahrelang,
namentlich