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reichung bedürftig) sich entwickelt, in die geistige Verbindung also nicht als Werdendes,
sondern schon Fertiges eintritt. Hingegen zeigt schon der Sprachgebrauch an, wie falsch es
ist, die Dinge so zu sehen, wenn er sagt: es habe jemand ein Verhältnis innerlich
„ausgeschöpft“; oder er sei innerlich darüber hinausgewachsen — vor der Ausschöpfung, vor
dem darüber Hinauswachsen wirkte mithin das Verhältnis unaufhörlich bildend, waren also
seine Teilnehmer immerfort noch Werdende, geistig Empfangende. Und s o m i t w a r
j e d e r T e i l n e h m e r v o r E i n g e h e n i n d a s V e r h ä l t n i s — in bezug auf
die dabei beteiligten seelischen Inhalte — n o c h n i c h t f e r t i g , er war nur Anlage
oder Vermögen, Potenz zu jenem Ausbildungsgrad, den er nach „Ausschöpfung“ des
Verhältnisses der Wirklichkeit noch erreicht hatte.
Auf die Frage, nach welchen Momenten die aktualisierende Schöpfung
des Einzelnen vor sich gehe, haben unsere früheren Betrachtungen
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bereits die Antwort gegeben. Die schöpfe- / risch-bildende Wirkung der
Gezweiung hat an der Erweckbarkeit geistiger wie sinnlicher Setzungen,
das heißt an der A n l a g e d e r P e r s ö n l i c h k e i t , ihre
individuellen Grenzen. Verhältnismäßig weiter scheinen diese Grenzen
beim rein verstandesmäßigen Denken gesteckt, als im Gemüte. In diesem
Sinne ist ein Wort Goethes zu beachten: „ Z u m L i c h t e d e s
V e r s t a n d e s k ö n n e n w i r i m m e r g e l a n g e n , a b e r d i e
F ü l l e d e s H e r z e n s k a n n u n s n i e m a n d g e b e n . “
Beim Willen wieder zeigt sich mehr wie beim Gefühl ein „Willensreflex“, der sogar in
der Gewöhnung einen mechanischen Charakter annehmen kann („Reflexbewegung“).
Jedoch ist die praktische Variationsgrenze der Ausbildung durch Gemeinschaft hier weit
geringer. Der Wille, die „Energie“, ist abermals Anlage, ausgesprochen
C h a r a k t e r a n l a g e .
Ein letztes Bestimmungsstück der Aktualisierung der Potenz ist die
E i n z i g a r t i g k e i t . Die Gemeinschaft aktualisiert nicht durch
Erweckung im Allgemeinen — z. B. das Musikalische, das Sittliche —
sondern nur durch besonderte, handgreifliche Erwek- kung.
G e z w e i u n g s c h a f f t I n d i v i d u a l i t ä t , s c h a f f t d e n
u n w i e d e r h o l b a r e n E i n z i g a r t i g e n ! Der uralte Satz des
Aristoteles
„
ένέργεια χωρίζει
“
(Aktualisierung trennt, individualisiert)
kommt auch hier zu Ehren.
Ganz allgemein gefaßt ergibt sich rein begrifflich von der Ganzheit her
die Notwendigkeit e i n z i g a r t i g e r Glieder. Die Ganzheit fordert
Ausgliederung
in
geschichteten,
daher
besonderten
und
unwiederholbaren Gliedern aus begrifflicher Notwendigkeit — ein
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Siehe oben S. 138 ff.