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richten, nirgends aber, daß sie (an sich) aufeinander „wirken“. Lehrer und
Schüler z. B. verkehren miteinander nur in ihrem arteigenen Verhältnis,
das heißt nicht als „Personen schlechthin“ miteinander (solche gibt es
eben nicht), sondern allein in ihrer Eigenschaft als Glieder der bestimmten
Erziehungsganzheit, der sie beide angehören, oder, was dasselbe ist: durch
die Ganzheit hindurch. Bei allen ähnlichen Verhältnissen deutlicher
Abstufung der Glieder ist es handgreiflich ebenso. Eltern und Kinder,
Unternehmer und Arbeiter, Hauptmann und Krieger, Künstler und
Zuhörer, Schöpfer und Kritiker, nirgends ist ein anderer als der durch die
g l i e d h a f t e Stellung der Einzelnen in der betreffenden Ganzheit
gegebene geistige Verkehr möglich. Aber / auch die Gemeinschaften mit
näherer Gleichstellung ihrer Glieder, wie Freundschaft und Geselligkeit,
machen davon keine Ausnahme, da auch der Freund dem Freunde niemals
als „ihm selbst“, sondern nur als Teilhaber an ihrer gemeinsamen
Freundschaft zu begegnen vermag. In der Geselligkeit vollends schreiben
Förmlichkeit und Sitte dem Einzelnen seine geistige Einstellung, sein
geistiges Gliedschaftsverhältnis deutlich vor.
Man könnte einwenden: Es ist zwar richtig, daß in äußerlich
abgestuften Gemeinschaften wie: Lehrer—Schüler, Künstler—Kritiker
jeder nur seiner, ihm in diesem Zusammenhang (der Ganzheit)
zukommenden Stellung und Aufgabe gemäß geistig zur Erscheinung
kommt: wo s p r i c h t a b e r d a n n d e r M e n s c h z u m
M e n s c h e n ? Hierauf ist zu antworten: wenn der „Mensch“ dabei als
Einzelner an sich, als Nicht-Gliedliches gedacht wird — dann spricht er
niemals zum .andern, weil weder er noch der andere auf diese Weise
überhaupt bestehen. Gemeinschaft ist die schöpferische Kraft unserer
Seele, und ohne sie müßte unser geistiges Dasein in nichts
auseinanderfallen. Wohl aber kann der „Mensch zum Menschen“ in dem
Sinne sprechen, daß er es in den wesenhaftesten, in den das Tiefste der
Seele berührenden G e m e i n s c h a f t e n tut. Das Verhältnis von
Mutter und Kind, Freund zu Freund in aufgeschlossenen Stunden sind
solche wesenhafte Gemeinschaften.
Die Einsicht, daß die Menschen nicht als solche und unmittelbar miteinander geistig
verkehren, sondern nur durch das Ganze ihrer jeweiligen Gemeinschaft hindurch, vollendet
erst, wie sich später zeigen wird, so recht den Begriff der Ganzheit. Sie ist von so
grundlegender Bedeutung für die V e r f a h r e n -