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man sie auch eine U b e r - G e z w e i u n g nennen. Man erkennt

hieran wieder: daß A b g e s c h i e d e n h e i t e i n ü b e r g e -

m e i n s c h a f t l i c h e r , k e i n e s w e g s e i n i n d i v i d u a -

l i s t i s c h e r Z u s t a n d i s t . Abgeschiedenheit ist nur bei ganz-

heitlich gebauter Welt, ganzheitlich gebautem Leben möglich; s i e

s e t z t v o r a u s , d a ß d e r E i n z e l n e in Gezweiung zur

Wirklichkeit entwickelt wurde und in Kraft dieser Wirklichkeit die

Gezweiung zu überhöhen vermag.

Wir unterscheiden zwei Arten von Abgeschiedenheit.

Erstens einen Übergangszustand, wie ihn das Naturempfinden

überall in sich schließt, besonders aber in der weihevollen Art der

Romantik; sodann

zweitens eine philosophische und mystische Abgeschiedenheit.

Zusammenfassend darf gesagt werden: Wenn den beiden Auffas-

sungen vom Wesen der menschlichen Gemeinschaft Individualismus

und / Universalismus noch eine dritte hinzugefügt wird, die Ab-

geschiedenheit, so handelt es sich in ihr nicht eigentlich und im

eigentlichen Sinn um eine menschliche Gemeinschaftsidee, weil sich

Staat und Gesellschaft nicht nach ihr aufbauen könnten. Sie stellt

sich aber als Lebensbegriff, als Gesellschaftsbegriff aller Art von My-

stik dar. Sie hat nicht nur eine theoretische, sondern auch geschicht-

liche Geltung. Abgeschiedenheit ist jener Zustand, welchen der

fromme Einsiedler oder der vom Getriebe der Welt innerlich zu-

rückgezogene Mensch verwirklicht, indem er nur in Hingabe an das

göttliche Prinzip zu leben trachtet, Gemeinsamkeit mit Menschen

und den Aufgaben ihres Lebens aber sein läßt oder auf Äußerliches

beschränkt. In der Abgeschiedenheit wird jenes Göttliche, das nach

universalistischer Auffassung in der Menschengemeinschaft ohne-

hin schon waltet, unvermittelt aufgesucht, ohne den Weg über an-

dere menschliche Seelen, ohne den Weg der Liebe zu gehen; oder

der Abgeschiedene will, indem ihm Welt und Wirklichkeit nur

Schein sind, durch Vereinigung mit dem wahren, göttlichen Sein

sich selbst und der Welt entfliehen. In allen Arten von Abgeschie-

denheit wird das wahre Leben nicht in Gemeinschaft mit den irdi-

schen Dingen, noch in Gemeinschaft mit dem andern, sondern im

unmittelbaren Aufsuchen und mystischen Spüren Gottes gefunden.