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ganzen Lehre. Man hat auch sogleich sicheren Boden unter den Fü-
ßen, wenn man auf die praktische Sittenlehre, die Staatsregierung
und Lebensführung eingeht.
„Wer k r a f t s e i n e s W e s e n s h e r r s c h t , g l e i c h t
d e m N o r d s t e r n . D e r v e r w e i l t a n s e i n e m O r t e ,
u n d a l l e S t e r n e u m k r e i s e n i h n.“
1
Dieses Wort drückt
das chinesische Ideal des Staatsmannes in der bündigsten Weise
aus. Jede Art von Gemeinschafts- und Herrschaftsverhältnissen
ist ihrer Natur nach nicht in Übermacht und äußerer Ordnung
begründet, sondern in jenen Kräften, welche die Gemeinschaft als
ihr wesentliche, spezifische bildet; nicht in äußeren Gewaltaufwen-
dungen, sondern in inneren Bildungskräften der Gemeinschaft der
Menschen selbst: im G u t e n . Viele Sprüche erläutern dies. So
folgende: Der Meister sprach: „Wenn man durch Erlässe leitet und
durch Strafen ordnet, so weicht das Volk / aus und hat kein Ge-
wissen. Wenn man durch Kraft des Wesens leitet und durch Sitte
ordnet, so hat das Volk Gewissen und erreicht das Gute.“
2
— Der
Meister sprach: „Wer selber recht ist, braucht nicht zu befehlen: und
es geht. Wer selbst nicht recht ist, der mag befehlen: doch wird nicht
gehorcht.“
3
— Dsi Lu fragte nach dem Wesen des Edlen. Der
Meister sprach: „Er bildet sich selbst aus sittlichem Ernst.“ Dsi Lu
sprach: „Ist es damit schon fertig?“ Der Meister sprach: „Er bildet
sich selbst, um anderen Frieden zu geben.“ Dsi Lu sprach: „Ist es
damit schon fertig?“ Der Meister sprach: „Er bildet sich selbst, um
den hundert Namen [dem Erdkreis] Frieden zu geben.“
4
— Frei-
herr Gi Kang fragte den Meister Kung nach dem Wesen der Regie-
rung. Meister Kung sprach: „Regieren heißt recht machen. Wenn
Eure Hoheit die Führung übernimmt im Rechtsein, wer sollte es
wagen, nicht recht zu sein?“
5
Und in einem anderen Spruch:
„ . . . Wenn Eure Hoheit das Gute wünscht, so wird das Volk gut.
Das Wesen des Herrschers ist der Wind, das Wesen der Geringen ist
das Gras. Das Gras, wenn der Wind darüber hinfährt, muß sich
beugen.“
6
1
Kungfutse: Gespräche, Buch II, i, S. 8.
2
Kungfutse: Gespräche, Buch II, 3, S. 8.
3
Kungfutse: Gespräche, Buch XIII, 6, S. 137.
4
Kungfutse: Gespräche, Buch XIV, 45, S. 167.
5
Kungfutse: Gespräche, Buch XII, 17, S. 127.
6
Kungfutse: Gespräche, Buch XII, 19, S. 128.