Previous Page  264 / 749 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 264 / 749 Next Page
Page Background

264

[216]

Auch die historische Rechtsschule, die spätere Rechtsphilosophie

(Ahrens, Stahl), die geschichtliche Schule in der Volkswirtschafts-

lehre samt der ganzen modernen Sozialpolitik, zum Teil sogar der

Sozialismus von Lassalle und Marx — sie alle fußen auf dieser von

Fichte eingeleiteten Umbildung des gesellschaftstheoretischen Den-

kens. Fichte hat freilich daneben die naturrechtliche Form der Kon-

struktion des Staates nie ganz loswerden können, namentlich nicht

in den ersten Schriften, z. B. wird in der „Grundlage des Naturrech-

tes“ sogleich nach der oben angeführten universalistischen Begriffs-

bestimmung des Individuums ein Staatsbürgervertrag, dazu noch

in mehrfacher Form, konstruiert, ähnlich im „Geschlossenen Han-

delsstaat“ und den späteren Schriften! Aber im Grunde treibt sein

ganzes Denken auf reinen Universalismus hin. Damit beginnt eine

Überwindung des Individualismus, welche vielleicht die größte Lei-

stung des deutschen Geistes in der Geschichte ist und die noch lange

nicht alle ihre Kreise gezogen hat, von der vielmehr noch eine neue

Kulturepoche ihren Ausgangspunkt nehmen wird. Die Geburts-

stunde des Umschwunges, der mit der Abwendung vom Naturrecht

im deutschen Denken, trotz aller nachträglichen Siege des Man-

chestertums (die mehr in äußeren Wirtschaftsverhältnissen ihren

Boden fanden) vollzogen wurde, schlug, als Fichte 1796 seine

„Grundlagen des Naturrechtes“ herausgab. Dieser Umschwung dau-

ert zur Zeit noch an und findet namentlich in der fortgesetzten Or-

ganisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse durch die moderne

Sozialreform seinen Ausdruck.

Wenn dagegen Eugen von Philippovich in seiner Untersuchung über das „Ein-

dringen der sozialpolitischen Ideen in die Literatur“

1

glaubt, die Abwendung der

politischen Ökonomie vom Individualismus und das Eindringen gesellschaftswis-

senschaftlicher Betrachtung in sie sei dem Sozialismus und der Stein-Mohlischen

Gesellschaftslehre zuzuschreiben, so hat er die Wurzeln beider übersehen, ist er

zu sehr bei den u n m i t t e l b a r gegebenen Erscheinungen stehengeblieben. Die

Stein-Mohlische „Gesellschaftslehre“, und sogar in hohem Grade der deutsche

Sozialismus, sind in dieser Beziehung selbst Früchte der Romantik und der deut-

schen klassischen Philosophie, besonders der Philosophie Hegels.

/

1

In: Festschrift zu Gustav Schmollers 70. Geburtstag. Leipzig 1908, Bd II,

Kapitel XXXI, S. 6 ff.