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hen, was Wissenschaft im Ganzen des menschlichen Geistes und des

objektiven / Geistes, der Gesellschaft, bedeute, muß man Gelehr-

samkeit und Bildung streng auseinanderhalten. Gelehrsamkeit ist

nur die äußere Hülle des Wissens, oft nur ein fader Trödel der Schul-

wissenschaft. „Gelehrsamkeit besteht vorzüglich darin“, sagt Hegel,

„eine Menge unnützer Dinge zu wissen.“

1

Wer bloß Kenntnisse

sucht, gleicht dem Markensammler und ist lebensfremd. In der Bil-

dung aber ist uns das Wissen innerlich geworden, ist die objektive

Wirklichkeit uns nicht entfremdet, sondern erweitert uns eingebil-

det. Bildung ist das innere Gemach der Erkenntnis. Darum das

Tiefaufwühlende echten Wissensdurstes, die ungeheure Leidenschaft

des Forschers, die schon Demokrit den Ausruf entlockte: „Ich

möchte lieber eine einzige Ursache entdecken, als König der Perser

sein.“ — Durch Gezweiung ist im Wissen Liebe enthalten. Liebloses

Wissen ist ein Widerspruch in sich. Hiermit kommen wir auf die

sittliche Bedeutung der Wissenschaft und auf das Verhältnis von

Erkenntnis und Handeln im weitesten Sinne.

B. Die s i t t l i c h e B e d e u t u n g d e r W i s s e n s c h a f t .

V e r h ä l t n i s v o n T h e o r i e u n d P o l i t i k

Der Unterschied von „Wissen und Handeln“, „Theorie und Pra-

xis“, Denken und Wertung, Intellekt und Charakter, Lehre und

Leben, Sein und Sollen oder wie man ihn sonst noch bezeichnen

mag, wurde von der Neukantischen Schule als ein unversöhnlicher

Gegensatz, als der Unterschied „zweier Ebenen“, die einander nie

berühren können, dargestellt. Diese Lehre bildet bis heute in den

sozialen Wissenschaften einen wichtigen Gegenstand. Man pflegt

jenen Gegensatz so zu fassen, daß das theoretische Denken als das

„Objektive“ bezeichnet wird; die Stellungnahme (Wertung, Politik)

dagegen als das Subjektive, als das, woran der Einzelne nach Sub-

jektivität und Weltanschauung (über die sich streng wissenschaft-

1

Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Sämtliche Werke, herausgegeben durch

einen Verein von Freunden des Verewigten, Berlin 1832—87, Bde 13—15: Vorle-

sungen zur Geschichte der Philosophie, herausgegeben von Karl Ludwig Michelet,

3 Tle, Berlin 1833—36, Tl I, S. 23; vgl. dazu die Ausgabe von Hermann

Glockner, Stuttgart 1928.