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Das Tragende und Ursprüngliche des Wissens ist nicht äußere Er-
fahrung, sondern Eingebung (die allerdings Erfahrung voraussetzt).
Wir haben schon in einem anderen Zusammenhang den Unterschied
zwischen zerlegendem (diskursivem) und schauendem (miterleben-
dem, intuitivem, einblickendem) Denken begründet
1
. Im schau-
enden Denken ist es, wo der menschliche Geist die Dinge durch
Eingebung miterlebt, nachschafft. Das Schauen ist die erste Quelle
der Wahrheit. Und jede Wissenschaft ist daher nach Maßgabe ihrer
miterlebenden Bestandteile nicht lebensfremd, sondern lebensver-
tiefend. Das Nachschaffende aller Wissenschaft war schon den Alten
wohlbekannt, wie wir in der griechischen Anthologie lesen, wo
Leonidas von Tarent in einem Lobspruch auf eine astronomische
Schrift des Aratos sich also vernehmen läßt:
„Dies ist Aratos’ Schrift, des Erfahrnen, welcher mit feinem
Sinne die dauernde Schar himmlicher Sterne durchdacht,
Beide, die irrfahrtfreien und schweifenden, deren umringend
Kreisende Bahn sichtbar bildet das Himmelsgewölb.
Lobet ihn, welch’ groß’ Werk er vollbracht, daß er der Zweite
Sei nach Zeus, da er so h e l l e r d i e S t e r n e g e -
m a c h t.“
2
Durch nachschaffendes Denken des Himmels hat der Gelehrte um
so heller die Sterne gemacht! Auf gleiche Weise ist es zu verstehen,
wenn Aristoteles die Weisen und Forscher
„άρχιτέκτονεςτή διανοία“,
Baumeister des Gedankens, nennt
3
. Und in Wahrheit ist Wissen
seinem Kerne nach niemals etwas anderes denn inneres Wesenswis-
sen; bloß äußere Kenntnis dagegen ist nur eine Vorbedingung wah-
ren Wissens. Solche wahre Wissenschaft ist allgemeines Lebensele-
ment unseres Geistes. Daher mit Recht Aristoteles sagt: „Alle
Menschen verlangen von Natur nach dem Wissen.“
4
Der Gegensatz von Kenntnis und Wissen taucht wieder auf in
jenem von G e l e h r s a m k e i t u n d B i l d u n g . Um zu verste-
1
Siehe oben S. 13 ff,
2
Griechische Anthologie, übersetzt von Georg Thudichum, Stuttgart 1858,
Teil 1, S. 480 CVI.
3
Aristoteles: Politik, griechisch und deutsch von Franz Susemihl, Leipzig
1879, Siebtes Buch, Kapitel 3.
4
Aristoteles: Metaphysik, übersetzt von Adolf Lasson, Jena 1909, Anfangs-
worte.