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mein verbindlich und gehörten nur dem Gefühle an. — Daran ist
richtig, daß nicht alle, die Kunst in sich aufnehmen, ihren Gegen-
stand gleich von der höchsten Seite aus zu fassen, ihn in seinen
eigentlichen Tiefen zu erleben vermögen. Dies hängt an der Person
— aber darum ist die Kunst noch kein „subjektives“ Gebiet, denn
grundsätzlich steht es ja ebenso beim Wissen, wo weder die Masse
der Laien und Schüler noch selbst die Masse der Gelehrten und For-
scher den höchsten Gehalt des überlieferten und neu entstandenen
Begriffsschatzes in seiner Tiefe auszuschöpfen vermag. Von dem
Grade der persönlichen Aufnahmefähigkeit kann daher bei der
soziologischen Bestimmung der Stellung der Kunst in Leben und
Gesellschaft ebenso abgesehen werden wie bei jener der Wissen-
schaft. Wie die Wissenschaft im Begriff das Wesenhafte des Gegen-
standes wiedergibt, so muß die Kunst die reinsten Würzen, die
kräftigsten Elemente mischen, um das Wesenhafte ihrer Gestalt zu
erzeugen — sie ist grundsätzlich von der gleichen, von der absolu-
ten Objektivität wie die Wissenschaft. „Subjektives“ also hat wahre
Kunst nicht an sich. Der Künstler als Sonderbarer und Sonderling ist
ebensowenig möglich wie der Denker in solcher Eigenschaft.
Die grundsätzliche Stellung der Kunst im menschlichen Geiste ist
nun dahin zu kennzeichnen: sie schließt uns den L e b e n s g e h a l t
d e r D i n g e ; aber damit zugleich den S c h a t z u n d d i e
T i e f e u n s e r e s e i g e n e n I n n e r e n a u f . Es ist eine neue
Geburt des Menschen in der Aufschließung des eigenen Selbst, in der
Entdeckung des eigenen Reiches der Seele, im Wachsen durch inne-
res Erschauen des Gegenstandes, gleichsam eine Art Selbsterkennt-
nis, was die Kunst bedeutet. Diese „Selbsterkenntnis“ soll nicht im
reflektierenden Sinne verstanden werden, wie das frühere Beispiel
des Nibe- / lungenliedes dartut; denn was man nur von außen
durch den Verstand erkennt, hat man noch nicht erlebt. Die Kunst
schließt uns den Gegenstand durch die Gestalt, im g e s t a l t e n -
d e n E r l e b n i s auf — und dadurch ein Stück von unserem eige-
nen Selbst.
Das ist es! In der Kunst wird eine Schau, ein E r l e b n i s ge-
staltet, darum führt umgekehrt die Gestalt auf das Erlebnis zurück.
Nur aus tiefer Versunkenheit des Geistes, gleichsam aus magischer
Verbundenheit mit der Wurzel des Dinges, entspringt die Schöp-
fung der Gestalt, nur aus der Eingebung wird im Kunstschaffen die