Previous Page  367 / 749 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 367 / 749 Next Page
Page Background

[303/304]

367

Schönheit geboren. In eben denselben Zustand der Versunkenheit

des Schauens wird durch die geschaffene Gestalt der Kunstge-

nießende versetzt. Und darauf gründet zuletzt die Stellung der

Kunst im subjektiven wie im objektiven Geiste.

Zum zweiten: Da das Erlebte ein rein Wesenhaftes, das heißt da

es notwendig Wesen in reiner, in vollkommener Gestalt ist, leistet

die Kunst damit dem Menschen auch die Erkenntnis des R e i n -

g e s t a l t e t e n , d e s I d e a l e n , aber nicht als Subjektiv-, son-

dern als Objektiv-Ideales.

Und da das Erlebnis endlich vor keinem Gegenstande Halt macht

und alles in die Seele mit einbezieht, offenbart die Kunst dem Men-

schen auch seine Verwandtschaft mit der N a t u r und stellt ihn

mitten in ihren großen Zusammenhang hinein. Indem sie ihn aber

an den Allzusammenhang der Natur knüpft, nähert sich Kunst zu-

gleich der R e l i g i o n an. In diesem doppelten Sinne gilt darum

Eichendorffs Wort von der Wirkung der Kunst auf den Menschen:

„Des Großen Wink im tiefsten Marke spüren.“

Zieht man daraus die Summe, so folgt, was unserer Zeit, die an

das „l’art pour l’art“ glaubt, so fremdartig, ja überschwenglich er-

scheint: K u n s t u n d L e b e n s i n d n i c h t t r e n n b a r . Je

mehr sich beide trennen, wie heutzutage, um so mehr muß die

Kunst verarmen, um so äußerlicher, also kümmerlicher, wird auch

das Leben. Tiefe Empfindung vom Wurzelhaften des Lebens ist

poetische Gestaltung desselben, poetische Gestaltung folgt aus tiefer

Empfundenheit des Lebens. Das lehrt auch die Geschichte! In Zeiten,

wo das Leben aus tiefer Empfindung heraus gelebt wird, ist von

selbst die große Kunst da, und das nicht als Artistik, sondern sie

gehört zum Leben. Die homerische Dichtung, das Nibelungenlied,

die Edda, die Sagas, die mittelalterlichen Heldenlieder — sie wuch-

sen aus einem Leben echten Stils, großer Empfindung hervor. Sie

alle sind g e l e b t e K u n s t / ebenso wie sie ihrerseits das

Leben gestalteten. Dagegen, die „Dichter“ des jungen Deutschland

und ihre äußersten naturalistischen Nachfolger bis heute, nahmen

das stillose, äußerliche, in sich zerfallende Leben mit seinen pein-

lichen Alltagsfragen zum Gegenstände. Auch diese Afterkunst noch

steht im Leben, wird gelebt, wie sogar Sumpfkunst von heute.

Was an K u n s t n o c h K u n s t i s t , i s t i m m e r L e -

b e n s s c h a u ; darum der Gesellschaftsforscher ihrer ebensowenig