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sind dadurch / vor allem mit Naturalistik versetzt, und das be-
deutet, daß sie vom höchsten Religiösen abgelenkt wurden. Das
Große der höheren Religionen, insbesondere des Christentums,
liegt darin, daß sie sie überhöhen und hinter sich lassen; daß sie den
religiösen Sinn auf die höchste Gottheit unvermittelt und allein
lenken. Indem sie von der höchsten Gottheit selbst und nicht von
niederen Geistwesen die Leitung der menschlichen Geschicke aus-
gehen und dem Menschen seine Bestimmung geben lassen, reinigen
sie die Religiosität von dem Trüben, dem Äußerlich-Abergläubi-
schen, dem Zauber- und Gespensterartigen wie auch vom Geschäfts-
mäßigen, und geben ihr damit erst jene g e i s t i g e I n n e r l i c h -
k e i t u n d j e n e s i t t l i c h e R i c h t u n g , deren die einzel-
nen Völker und Menschen jeweils fähig sind.
So sind die großen Weltreligionen zu verstehen, am höchsten das
Christentum. „Selig sind die Augen, die sehen, was Ihr seht.“
In dem Gedanken, daß die magischen Mächte der niederen Reli-
gionen und die göttlichen Potenzen der heidnischen nicht durchaus
unwirklich seien, aber die Verbindung mit ihnen die reine Ver-
ehrung des höchsten und einzigen Gottes trübt und hindert, sehen
wir recht eigentlich den Schlüssel aller Religionsgeschichte. Die Wil-
den und Heiden wenden sich nicht an Mächte, die es in keinem
Sinne, die es ganz und gar nicht gäbe; aber ihr religiöses Geschäft
ist nur ein solches, das sich bei Niederem aufhält. Und die Gebete,
die an all jene heidnischen Mächte gerichtet wurden, können nicht
als vollkommen nichtig betrachtet werden. Wie denn darum das
Christentum mit vollem Rechte jene niederen Stufen der Volks-
religiosität nicht ganz und gar ausgemerzt hat, sondern in gebändig-
ter, gereinigter und bedingter Gestalt in sich aufnahm.
Ein wichtiges Zeugnis dieser Auffassung darf in der Ansicht jener
Kirchenväter erblickt werden, die mit dem Heidentum noch zu-
sammenlebten und es nicht nur vom Hörensagen kannten. Sie waren
darin einig, daß sie die übersinnlichen Mächte der Heiden durch-
aus nicht völlig leugneten, sondern sie als niedere oder dunkle, näm-
lich als Dämonen ansahen, die überdies auf rohe Weise verehrt wur-
den. So lesen wir bei Augustinus im vierten Buche des „Gottes-
staates“: daß die Götter unreine Geister, Dämonen seien, nicht
etwa, daß sie nie und in keinem Sinne bestünden
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. Im siebenten
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Augustinus: Der Gottesstaat, IV, I; vgl. auch IV, 9 ff., VIII, 14 ff. und