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Verfall unterworfen. — Neben der Kirche stehen nämlich die freien,

vereinsmäßigen Anstaltsformen der S e k t e n und die nur ganz

lose veranstalteten Gruppenbildungen der M y s t i k e r . Die christ-

liche Kirche ist, wie Troeltsch richtig dargelegt hat, eine Anstalt,

welche Massen aufnehmen und der Welt sich anpassen kann; die

Sekte dagegen ist ihm die Vereinigung strenger Christen, die von

der Welt sich scheiden, auf kleine Kreise beschränkt bleiben und die

christliche Lebensordnung der Liebe aufrichten. Die Mystik bringt

es nur zu persönlich bedingten Gruppenbildungen. Alle drei For-

men: Kirche, Sekte, freie Mystik sind nach Troeltsch schon in den

Anfängen vorgebildet und treten bis heute auf jedem Bekenntnis-

gebiete nebeneinander auf. Sie haben auch je einen andern Dogmen-

begriff; die Kirche brauche als Massen- und Volkskirche vor allem

Autoritätsglauben und heilsamen Zwang, was wieder die Mitwir-

kung des Staates erfordere; die Sekten verlangen Duldung und Frei-

heit vom Staate, indem sie auf dessen Mitwirkung zur Aufrecht-

erhaltung ihrer Organisation verzichten; daher entstehen unauf-

hörliche Spaltungen, daher ihr Zug zur Anarchie. — Troeltsch

kommt also zu dem trostlosen Ergebnisse, daß Kirchen „den Kern

verholzen“, Sekten aber zur Anarchie führen! Wir werden später

zu zeigen haben, daß im W e s e n fester Organisation (hier der

Kirche) „Verholzung des geistigen Kerns“ keineswegs liegt, daß in

ihr, im Gegenteile, die stete Veranlassung, Hervorreizung des Er-

lebnisses, des geistigen Grundes liegt

1

.

/

4.

Die g e s e l l s c h a f t l i c h e n L e i s t u n g e n

d e r R e l i g i o n

Ihrem Begriffe nach muß die Religion das ganze Leben durch-

dringen. Damit nimmt die Leistung der Religion notwendig eine

durchaus sittliche Wendung. Die R e l i g i o n i s t e s ü b e r -

a l l , d i e z u l e t z t d a s h ö c h s t e V o l l k o m m e n h e i t s -

i d e a l b e s t i m m t . Das Verhältnis der Gemeinschaft wie des

Einzelnen zu Gott wird daher von selbst zum Imperativ des Ver-

haltens, wird Grundlage und Richtmaß alles irdischen Tuns. So wird

1

Vgl. Ernst Troeltsch: Die Soziallehren..., S. 967 f.; über Organisation

siehe unten viertes Buch, sechstes Hauptstück, sechster Abschnitt unter 5. „Die

Kirche“, S. 531.