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Stammgott, der dann schrittweise zum Weltherrscher erwächst, wie bei den
Israeliten,
sondern
von
Anfang
an
die
universelle
Macht..."
1
.An
der
S c h w e l l e d e r R e l i g i o n s g e s c h i c h t e s t e h t e i n e u n i v e r s e l l e
u n d v o l l k o m m e n a u s g e b i l d e t e R e l i g i o n . — Diese Tatsache kann
angesichts der Sucht nach Primitivem, von der unsere Empiristen befallen sind,
nicht genug betont werden.
2. E i g e n e n t w i c k l u n g
In welchem Sinne von innerer Eigenentwicklung der religiösen
Idee zu sprechen ist, ist schwer zu bestimmen. Was in der Kunst der
Stil ist, ist in der Religiosität das Religionssystem. Wie in der Kunst
die Vollkommenheit am Beginn steht — was uns schon die ältesten
vorgeschichtlichen Kunstwerke zeigen —, so dasselbe in der Re-
ligionsgeschichte, wie wir soeben an Zoroaster sahen. Die Meinung
der heutigen Religionsgeschichte muß berichtigt werden, daß von
präanimistischer, animistischer und zauberartiger Allbeseelung der
Weg zur polytheistischen Allbeseelung / führt, welche die gött-
lichen Wesenheiten veredelt und an einen Gott Vater gebunden,
von ihm ausgegangen denkt, bis schließlich ein Ideenreich von Göt-
tern und Gestalten zum einzigen persönlichen Gott führt. So steht
es nicht. — Dagegen muß der Begriff der Erleuchtung und Offen-
barung zu dem der inneren Eigenentwicklung der Religion als ein
Ur-Produktives hinzutreten. Eine rein naturalistische Religion gibt
es nicht! Auch in den einfachsten und entartetsten Zuständen
glimmt noch ein Funke von Offenbarung und Erleuchtung unter
der Decke nach. Die Aufklärung hat den Begriff der Offenbarung
verbannt. Aber ist Wissenschaft, ist Kunst ohne Erleuchtung mög-
lich, wie sollte es dann der höchste geistige Zustand, der Glaube,
sein?
Wie sich die innere Logik der Vorstellungen hier zu verhalten hat, wohin sie
führen muß (ob zum Theismus, Pantheismus und so fort) — das sind Fragen, die
die höchsten Aufgaben der Religionsphilosophie bilden, aber nicht mehr der Ge-
sellschaftslehre angehören.
3.
Die ä u ß e r e E r m ö g l i c h u n g
hat bei der Religion mehr Einfluß auf den Kult als auf die reli-
giöse Idee selbst. Die Pflege von Gebet, Opfer, Gelübde bedarf im
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Eduard Meyer: Ursprung und Anfänge des Christentums, 3 Bde, Stutt-
gart 1921, Bd 1, S. 59.