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Demgemäß zeigt denn auch die Geschichte eine überwältigende E i n h e i t d e r
H a u p t l e h r e n a l l e r i d e a l i s t i s c h e n P h i l o s o p h i e . Die altindische
Philosophie der Upanischaden, die altchinesische des Laotse, der Gipfel der grie-
chischen Philosophie (Platon, Aristoteles), die mittelalterliche Philosophie und
Mystik (Thomas, Meister Eckehart), dann die deutsche klassische Philosophie
von Kant bis Hegel und Baader — sie alle zeigen dasselbe letzte, übersinnliche
Grunderlebnis und trotz alles häuslichen Streites eine wunderbare Überein-
stimmung der Grundbegriffe. — Freilich zeigen sich auch die entgegengesetzten
Arten des Weltbegriffs, die empiristischen, immer wieder, und sie werden aus
der Geschichte des menschlichen Geistes nicht verschwinden, ebensowenig wie
auf dem Gebiete des Sittlichen und des Wissens Bösewichter und Toren.
Der Grund dieses Gegensatzes liegt aber auch in der innersten Natur der
philosophischen Fragen, in den innersten Gegensätzen, auf welche diese stoßen,
selbst beschlossen. Der Mensch steht als vernünftiges Wesen dem Leben und
der Welt mit der notwendigen Forderung nach einem Sinn und Zweck gegen-
über. Indem ihm aber im Leben der Tod, in der Welt blinde Ursächlichkeit und
ewige, sinnlose Veränderlichkeit entgegentreten, wird er zwischen der fürchter-
lichen Skepsis, die sein Leben sinnlos und wertlos macht, und rückhaltlosem
Vertrauen, grenzenloser mystischer Hingabe hin- und hergeworfen. Daher wird
der Gegensatz immer bestehen, der sich zwischen empiristisch-relativistischer
Anschauung vom Wesen der Welt einerseits und metaphysischer Anschauung
andererseits auf tut. Zwischen diesen beiden Möglichkeiten wird sich der mensch-
liche Geist immer bewegen.
Unter den vielen Zwischenformen, die dabei erscheinen, möchte ich das
Romantische als eine geschichtlich immer wiederkehrende herausheben. Das
W e s e n d e r R o m a n t i k ist durch das Schwanken zwischen beiden Polen
bezeichnet. Das schmerzhafte Ringen um einen aufbauenden, festen Begriff des
Übersinnlichen, um innere Beruhigung und festen Glauben macht das Roman- /
tische aus. Und Romantik als Weltanschauung ist dann Bedingung für die
Romantik in der Kunst und nicht minder für die Romantik in der Staats- und
Gesellschaftswissenschaft.
Wird auf diese Weise Philosophie aufgefaßt als Ringen nach dem
Absoluten, dann ist Philosophie von der Einzel-Wissenschaft zu
trennen. Philosophie als gesellschaftliche Erscheinung und die ein-
zelne Wissenschaft als gesellschaftliche Erscheinung sind zwei ver-
schiedene Dinge. Hingegen sind P h i l o s o p h i e u n d R e l i -
g i o n n u r Z w e i g e d e r g l e i c h e n G r u n d e r s c h e i -
n u n g :
d e s m e t a p h y s i s c h e n E l e m e n t e s i m
m e n s c h l i c h e n G e i s t e , dessen was man im tiefsten Sinne
Glauben nennen muß. Was die Philosophie von der begrifflichen,
bewußten Seite her unternimmt und bedeutet, dasselbe bedeutet
Religion von der unmittelbaren Seite her, von der Seite des Er-
lebnisses, und der Ahnung, des Symbols und Kultes. Daher bilden
auch Philosophie und Religion, jede in ihrer Weise, die Grundlage,