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begründen. Der B e g r i f f d e s G u t e n m u ß p r i m ä r a l s
e i n g e s e l l s c h a f t l i c h e r , er darf nicht als ein individueller
gefaßt werden. Dazu muß aber die Gesellschaftslehre den Einzelnen
in seiner G l i e d h a f t i g k e i t u n d E b e n b i l d l i c h k e i t
nachweisen. Denn in der Gliedhaftigkeit und Ebenbildlichkeit des
Ich liegt allein seine g e s e l l s c h a f t s s i t t l i c h e Bestimmt-
heit.
Abermals tritt hier die B e g r ü n d u n g d e r S i t t e n l e h r e
v o m o b j e k t i v e n G e i s t e h e r zutage. Da es nun die zer-
gliedernde Gesellschaftslehre ist, die den objektiven Geist in seiner
geschichtlich-gesellschaftlichen Bestimmtheit erkennt, wird damit
die grundlegende Bedeutung der zergliedernden Gesellschaftslehre
für die Sittenlehre — als einer Güterlehre — offenbar
1
.
V.
Die Sittlichkeit im Haushalte des persönlichen und
gesellschaftlichen Lebens. Die Vorränge
An Stelle einer Erörterung der gesellschaftlichen Bedingtheit der
Sittlichkeit, die zu weit führen würde, möge allein die Betrachtung
ihrer L e i s t u n g treten. Sittlichkeit ist als Wert- und Zielbe-
stimmung zunächst bloß formaler Grundsatz des Handelns, kein
mit einem bestimmten geistlichen Inhalte gegebenes System von
Zielsetzungen, welches dann Handlungen erforderte, wie Wissen-
schaft, Kunst, Religion, Philosophie. Moral leitet sich vielmehr aus
allen diesen geistigen Inhalten als Werten (Zielen) erst ab. Sie ist nur
die Gebotenheit jener Inhalte, nur die Idealität des Wollens, also
etwas Imperativisches. Es folgt: Moral ist kein eigener geistiger In-
halt, sondern Richtschnur, Regelsystem für jegliches Handeln, das
sich aus irgendwelchen Inhalten herleitet. — Jede Art von Regel-
system erweist / sich nun als organisatorischer Natur. Alle Art
von Richtschnur, Regelsystem wollen wir Satzung nennen, im Hin-
blick auf seine bestimmende Bedeutung für die Organisation oder
Veranstaltung
2
. S i t t l i c h k e i t i s t d a h e r a l l g e m e i n -
1
Weiteres darüber siehe oben viertes Buch, S. 256 ff., bei der Darstellung
von Kant und Fichte; und in meinem Buch: Gesellschaftsphilosophie, München
1928, S. 313 ff.
2
Darüber näheres unten S. 508 ff. und 517 ff.