[368/369]
443
Wissenschaft, Kunst, Religion = Philosophie jeweils seine Ver-
wirklichung findet, ist aber verschieden. Daher ist die Schichtung
der geistigen Inhalte der Gemeinschaften nach Werten, / das heißt
die Bestimmung als höherer oder niedrigerer Rang, von der Be-
stimmung nach Wesensart (Wissen, Kunst und so fort) zu trennen.
Dem geistigen Inhalte als solchem tritt der Wert oder Rang dieses
Inhaltes zur Seite. Der Gattung: wahr, schön, göttlich tritt zur Seite
die Kategorie: das Vollkommene, das Gute.
Indem Wert und Rang damit zugleich die Eigenschaften haben,
zu bestimmen, inwiefern etwas Z i e l d e s H a n d e l n s werden
soll und kann, wird die Ordnung der geistigen Inhalte der Gesell-
schaft nach dem Werte zugleich die Ordnung der geistigen Inhalte
als Ziele des Handelns.
Wichtig ist noch folgende Unterscheidung. Indem ein „Wert“
zum „Ziele“ wird, wird er auch zum „Gebot“ der Wertverwirkli-
chung. „Gebot“ heißt auch „N o r m“.
Die Bezeichnung „Norm“ ist aber doppeldeutig. Sie bezeichnet sowohl den
reinen Wertcharakter (Rang) des Inhaltes als auch den Gebotcharakter. Es ist
daher besser, von sittlichen und rechtlichen „Werten“ und von sittlichen und
rechtlichen „Geboten“, wo es zur Deutlichkeit beiträgt, getrennt zu sprechen.
Ebenso zweideutig wie „Norm“ ist auch das Wort „Sollen“, da es einmal das
Sollen an sich, als Gültigkeit, dann das Sollen der Verwirklichung, als Gebot,
bedeutet.
In der Richtung auf das Vollkommene, die Geist und Handeln
durch die Sittlichkeit annehmen, liegt aber außer einer Rangfest-
stellung noch ein anderes Element beschlossen: das Schöpferische.
I n d e m d e r G e i s t d i e R i c h t u n g a u f d a s V o l l -
k o m m e n e n i m m t , i s t e r s c h ö p f e r i s c h .
Darum erst durch Sittlichkeit und Recht das Geistursprüngliche
zum „gefestigten Geist“ wird, und dann erst den Namen der Ge-
sittung oder Kultur verdient.
Das Recht wird später in einem anderen Zusammenhange noch zu betrachten
sein, im nachfolgenden behandeln wir daher nur die Sittlichkeit oder Moral.
II.
Der Gegensatz von empiristischer und nicht
empiristischer Auffassung
Auch an der Schwelle der Erörterung der Sittlichkeit steht wieder
der Gegensatz empiristischer und nicht-empiristischer Auffassung.