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D i e B e g r i f f s b i l d u n g : L e i s t u n g s b e g r i f f u n d
g e n e t i s c h e r B e g r i f f
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Wenn alles Handeln als System von gliedhaften / Teilhandlungen
aufgebaut ist, so erscheinen die einzelnen Handlungen in zweifacher
Weise betrachtbar, nach ihrer Leistung im System und genetisch-
ursächlich.
Einmal als selbständige Wesenheiten mit bestimmten physikalischen, chemi-
schen, biologischen Eigenschaften, z. B. die Handlungen des Bauern, Arbeiters,
Unternehmers werden nicht als leistende Glieder der „Bauernwirtschaft“, „Fa-
brik“, „Unternehmung“ untersucht, sondern als physiologische „Armbewegun-
gen“, „Muskelkontraktionen“, „Innervationen“, oder psychologisch als „Vor-
stellungsablauf“, „Gefühlsäußerung“, „Schmerz“, „Lust“ oder: der Boden, die
Maschine werden nicht als Leistungen im Wirtschaftszusammenhang betrachtet,
auch der Bestandteil einer Maschine wird nicht als leistendes Glied in der
Gesamtleistung untersucht, sondern als p h y s i k a l i s c h e Erscheinungen für
sich, etwa das Messer einer Hobelmaschine als „Keil“, andere Bestandteile als
„Hebel“, „Schraube“ und ähnliche Inbegriffe mechanischer Kräfte, Inbegriffe
mechanischer Genesis!
Die zweite Betrachtungsart ist folgende. Der Gegenstand erscheint als G l i e d
des Ganzen, als ein Teil, der im Ganzen e t w a s l e i s t e t , verrichtet: Das
Messer der Hobelmaschine erscheint jetzt nicht als „Keil“ oder als ähnliches
m e c h a n i s c h e s Kräftesystem, sondern als d a s , w a s e s l e i s t e t , näm-
lich als „Hobel“, der Maschinenbestandteile herstellt.
Damit ist es bereits gegeben, daß auch die für die Gesellschaftswissenschaft
maßgebenden Begriffe zweifacher Art sein müssen. Denn gemäß jener zwie-
fältigen Betrachtungsweise gehen auch die Begriffe der einzelnen Erscheinung
auf zweierlei: einmal auf die isoliert gedachten Einzelerscheinungen, wie sie
an und für sich in ihrer kausalmechanischen Bedingtheit oder G e n e s i s ge-
geben sind, z. B. eine bestimmte Tauschhandlung auf ihre psychologische Be-
dingtheit durch „Assoziation“, ihre physiologische durch „Muskelkontraktion“,
deren physikalische wieder durch ihre Wesenheit als „Hebelbewegung“; sodann
geht die Begriffsbildung auf die Erfassung der Teile in ihrer Eigenschaft als
Glieder des Ganzen, das ist auf die Erfassung ihrer „ L e i s t u n g e n “ inner-
halb der Ganzheit ineinandergreifender wirtschaftlicher Einzelerscheinungen. Zum
Beispiel die Leistung jener Tauschhandlung im Gesamtzusammenhang des „Mark-
tes“, der „Volkswirtschaft“.
Im ersteren Falle, wo mechanische Wesenheiten: „Hebel“, „Schrauben“ ins
Auge gefaßt werden, geht sonach die Begriffsbildung auf die Bedingtheit oder
Genesis der Einzelerscheinung, im letzteren Falle, wo wirksame Werkzeuge,
bewirkende Wesenheiten ins Auge gefaßt werden, geht die Begriffsbildung auf
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Diese Darlegungen folgten in der ersten Auflage meinem Aufsatz: Der
logische Aufbau der Nationalökonomie, in: Zeitschrift für die gesamte Staats-
wissenschaft, Tübingen 1908, S. 4—7; in der vorliegenden Auflage sind sie stark
gekürzt, da mittlerweile der ganze Fragenkreis eingehender und schärfer be-
handelt wurde in meinem Buch: Fundament der Volkswirtschaftslehre, 4. Aufl.,
Jena 1929, besonders S. 75 ff.